Polen
- auf den Spuren der Vergangenheit
Wir lassen Stettin links liegen und
fahren weiter gemütlich Chaussee durch die Uckermark über Usedom
nach Swinoujscie – Swinemünde.
War es bis dahin ländlich-sittlich,
wird’s plötzlich mondän. Vierstöckig stehen die Hotel- und
Apartmentbauten in der vordersten Prachtallee gleich hinter den
Dünen. Gut gemacht, modern halt, hoch und wenig beschaulich.
Dahinter mehrere Strassenfluchten, rechtwinklig, eng und
mehrgeschossig, nicht immer schön – wenig gemütlich.
Am Strand herrscht trotz nur
vorsommerlicher Temperaturen Hochbetrieb. Die Strandbars mit Veranda
und Blick sind gut gefüllt. Unsere ostdeutschen Landsleute
scheinen in der Überzahl zu sein, man hört sie deutlich,
erkennt die Mundarten. Vor ihnen stehen vereinzelt Cocktails oder
Softdrinks, meist jedoch grosse Gläser gefüllt mit leckerem,
polnischen Bier. Beliebter Gesprächsinhalt: Wie wenig das hier doch
alles kostet.
Nun fehlt noch eine Unterkunft für
die erste Nacht in Polen. Hotel neben Hotel und alles voll belegt
oder die Zimmer gefallen nicht, die Preise passen nicht zu
Ausstattung oder Zustand, trotz passabler Fassade.
Leicht frustriert überqueren wir die
fast unsichtbare Grenze in umgekehrter Richtung und ..? Déjà-vu!
Preise sind verdoppelt und passen nicht zu …, s. o.!
Endlich, am Rand von Heringsdorf,
finden wir in einer Herberge mit christlichen Wurzeln das kleinste
vorstellbare Zimmerchen mit winzigem Bettchen aber grossartigem
Blick.
Am folgenden Tag, wieder zurück im
Zielland, geht’s der Küste entlang gen Osten. Die deutsche
Dominanz nimmt ab und es wird preiswerter.
In Kolobrzeg - Kolberg und Ustka -
Stolpmünde macht auch die polnische Bevölkerung Urlaub. In Ustka
übernachten wir, gemeinsam mit den Insassen eines deutschen
Reisebusses, in einem modernen Hotel mit super Ausstattung, Zimmer
mit grossem Balkon, Blick auf den Hafen und exzellentem Frühstück
für €55 und essen ausgezeichnet am Strand im schönsten Restaurant
für €25 – für beide.
Das Bier schmeckt, das Wetter spielt mit,
von gelegentlichen heftigen Regenschauern abgesehen – Urlaub eben!
Irgendwo unterwegs kommen wir durch
Darlowo/Rügenwalde, dem Geburtsort der berühmt-berüchtigten
Teewurst, deren vornehm dünkender Name, eine intime Beziehung
zum britischen High Tea vorgaukelnd, in krassem Gegensatz zu ihrem
gewöhnlich hohen Fettgehalt steht! Enttäuschend ist die Tatsache,
dass dieser Ort heute keinerlei Zusammenhang mehr zur Produktion
dieser Delikatesse aufweist, schade!
Danach, auf kleiner Landstrasse,
schaffen wir es dank aussergewöhnlicher Fahrkünste so eben,
grössere Schäden an Achsen und Stossdämpfern zu vermeiden.
Schlagloch an Schlagloch halten die Fahrbahn zusammen! Immer
wieder treten sie auf, als wolle die polnische Verkehrspolitik die
Bürger des Landes zu langsamerem Fahren motivieren – ein
sinnvolles Unterfangen. Es passt zur Null-Toleranz-Politik bezüglich
des Fahrens unter Einfluss von Alkohol, zweifellos ebenso sinnvoll!Sonntags ist in vielen kleinen Orten
grosser polnischer Markt. Und dies führt zu endlosen Staus, vor dem
Ort und in Gegenrichtung dahinter. Alle wollen hin und suchen einen
Parkplatz. Besser am Sonntag nicht Landstrasse fahren – drei Staus
= 90 Minuten!
Gdansk – Danzig, hier ist fast alles
belegt und es wird teuer – Preise wie in Deutschland und die Stadt
voller Touristen aus aller Welt.
Wir geniessen die Altstadt, man muss
sie einfach lieben. Der sagenhafte Aufbau der historischen Gebäude
hinterlässt ungläubiges Staunen.
Es ist schlichtweg unvorstellbar,
wie die Polen nach 1945 diese Aufbauarbeit haben leisten können.
Restauration klingt nach Ausbesserung – aber hier wurden
Jahrhunderte alte, völlig zerstörte Häuser wieder errichtet,
nicht vereinzelt, sondern hunderte von ihnen, naturgetreu, mit allen
Extras, Skulpturen, Handgeländern, Türen und Fenstern, etc.!
Es
lohnt sich in Danzig und Warschau die entsprechenden Museen zu
besuchen, um das Ausmass der Zerstörung und die überragende
Leistung der polnischen Bevölkerung und ihrer Handwerker – wahre
Künstler – ermessen zu können. Danzig ist toll!!!
Wir staunen über norwegische Fahnen,
Gruppen von Nordskandinaviern in Restaurants und Cafés, überall.
Warum bevölkern die Norweger die Stadt? - fragen wir unsere nette,
polnische Bedienung, die so ausgezeichnet Deutsch und Englisch
spricht. Cheap flights! - ist ihre Antwort. 'Norwegian', eine
Billigfluglinie, fliegt mehrmals wöchentlich Danzig an und alles
andere ist dort ebenfalls spottbillig, für Norweger.
Malbork – Marienburg, Hanne auf den
Spuren ihrer deutschkreuzritterlich-nationalkatholischen Gesinnung
(Scherz, sie doch nicht! - die Antichristlichkatholische!), aber, sie
wollte dahin. Die Burg aus dem 13.-15. Jahrhundert ist monumental
beeindruckend. Jeder Gedanke an Christlichkeit vergeht allerdings,
hört man, dass die feinen Deutschritter aus purer Gewinnsucht
Danzig, als damaliges Handelszentrum für Bernsteine, überfallen,
niedergebrannt und die Bevölkerung einfach abgeschlachtet haben.
Auf dem Marktplatz des kleinen Ortes
wird gefeiert.
Ein Zug mittelalterlich gekleideter Personen,
zum Teil hoch zu Ross, trifft ein. Man versammelt sich zwischen einer
Bühne und einem Reiterdenkmal. Reden werden gehalten, lang,
ausdauernd und für uns unverständlich. Ein Name fällt häufiger:
Kazimierz – dieser polnische König kaufte die Burg für 'n Appel
und 'n Ei von den Rittern. Sie hatten schlichtweg kein Geld mehr,
konnten die Anlage nicht erhalten und zogen von dannen. Zwei Tage
später zog Kazimierz dort ein – welch glückliche Fügung! Dies
geschah, mehrere Jahrhunderte vor unserem Besuch, aber genau an
diesen Tag!
Was fällt immer wieder auf:
- Kosciuski, als Strassenname, an
Denkmälern, u.v.a.m.. Den Mann kennen wir aus Australien, dort
haben polnische Einwanderer einen ganzen Berg nach ihrem
Nationalhelden benannt!
- und Apteka – Apotheken an jeder
Ecke, oft zwei, drei hintereinander! Muss man sich Sorgen machen um
die Gesundheit unserer Nachbarn?
Ostroda – Osterode, westliches
Masuren, natürlich am See! Ein kleiner, unspektakulärer Ort,
mit einer wunderschönen Seepromenade. Abends essen wir bei
Sonnenuntergang direkt am Wasser ein Gulasch mit Knödeln –
lecker! Erst später stellen wir fest, es war ein böhmisches
Restaurant, wahrscheinlich eine Kette.
Warszawa – Warschau, wieder eine
grossartige Altstadt. Alles über Danzig Gesagte gilt auch für
Warschau. Trotz unserer kanzlerisch, sprichwörtlichen 'Gnade der
späten Geburt' befällt uns in Polen häufig deutscher Scham – wir
wehren uns nicht dagegen.
Vor dem Präsidentenpalast finden wir
Tafeln, die an den Absturz der Präsidentenmaschine vor ein paar
Jahren erinnern. An der Absperrung hängen einfache, kleine
Holzkreuze. Ein junger Pole erklärt englisch sprechenden Touristen,
dass diese Kreuze von Verschwörungstheoretikern stammen, die fest
daran glauben, dass Putin das Flugzeug hat abschiessen lassen. Obwohl
wir heute, nach mehreren Untersuchungen, mit Sicherheit wissen,
ergänzt er, dass diese Behauptung jeglicher Grundlage entbehrt.
Wir suchen sie in allen Restaurants
und Kneipen, wir lieben und bestellen sie fast täglich! Sie stehen
in einer Reihe neben schwäbischen Maultaschen und italienischen
Ravioli – die Pierogi! Gekocht oder gebraten, vegan,
vegetarisch, mit Kraut und Fleisch oder ohne, manchmal mit Käse oder
verschiedentlich mit mondänen Inhalten, vielleicht sogar mit Trüffeln? – einfach köstlich!
Sauerkraut findet man überall. In
einer altertümlichen Beiz in der Warschauer Altstadt auch roh,
gepaart mit Salz- und Gewürzgurke, zum Bier und Zeitvertreib bis das
Essen kommt. Wir leeren den riesigen Teller und sind eigentlich schon
satt. Wehrschaftes Essen, täglich, hinterlässt Spuren.
Torun
– Thorn, der nächste Höhepunkt – ein allerliebstes, kleines
Städtchen mit wunderschöner Backsteingotik.
Mächtige Kirchen, oft nur von aussen schön, innen häufig
stilgeschändet, mit überladenen, barocken Altären vollgestopft,
wenn auch nicht so übertrieben wie in der Barockkirche in Warschau.
Und dann: Das
Rathaus! Imposant und prächtig – allein deshalb lohnt sich der
Besuch.
Abends
suchen wir lange das gemütliche, kleine Restaurant. Nicht schon
wieder ins libanesisch-polnische „Sphinx“, das uns in Malbork so
gut gefallen hatte, mit guter, libanesischer Mezze. Immer wieder
finden wir es in allen Städten. Auch unser kleines, altes,
gemütliches Pierogi Restaurant in Warschau entpuppt sich als Kette.
In
Torun finden wir unser Abendessen in einem alten, stimmungsvoll
eingerichtetes Lokal, dunkel gemütlich! Müde vom täglichen
Fussmarsch durch und um die Stadt sitzen wir schon zehn Minuten
am Tisch, als ein Herr von nebenan aufsteht und uns in perfektem
Deutsch mitteilt, dass es sich um ein Selbstbedienungsetablissement
handelt. Die Auswahl an der Kantinentheke ist begrenzt, wir deuten
auf Fleisch und Salat, die Teller werden reichlich gefüllt und wir
bezahlen sechs Euro ohne Getränke.
Gniezno
– Gnesen, um eine halbe Stunde verpassen wir die
Fronleichnamsprozession und müssen uns mit dem ungeordneten
Rückzug der Teilnehmer begnügen. Natürlich ist das ein heiliger
Feiertag im katholischen Polen. Auch an diesem Tag sollte man nicht
auf ländlichen Strassen unterwegs sein. Vormittags kommt der Verkehr
vor jedem kleinen Ort ins Stocken, manchmal gibt's Umleitungen über
Feldwege – alle stecken im Stau oder folgen der Prozession, bis
mittags, dann wird gegessen, und die Wege sind frei!
Die
Kathedrale ist mächtig. Vor ihr steht Boleslaw I., hier 1025 zum
ersten König von Polen gekrönt, immerhin! … und obwohl:
Schon
vorher machte sich Prinz Lech mit seinen Brüdern Chech und Rus auf
die Suche nach einem Land, wo sein Volk in Frieden leben könne. Ein
weisser Adler (Gniazdo) erhob sich, legendär, aus seinem Nest und
hinter ihm ging rot die Sonne unter – Lech war am Ziel, gründete
die Stadt Gniezno und nahm den weissen Adler auf rotem Grund
zu seinem Wappentier. Polen ward geboren – 1025 oder viel früher
eben!
Posnan
– Posen, letzte Station, und wir landen im angenehm modernen
Sporthotel Puro. Die Stadt ist gross im Vergleich zur kleinen
Altstadt. Auf dem Marktplatz steht ein hübsch hässlich verbautes
Rathaus.
Rund herum ist der Bär los, es ist immer noch
Fronleichnam, jetzt geht’s fröhlich zu. Am letzten Abend essen wir
zum ersten Mal schlecht, Pech!
Und
plötzlich drängt es uns zur Abreise, bitte nicht noch eine
Stadtbesichtigung. Kurzentschlossen fahren bis Hamburg durch.
Dummerweise verpassen wir die letzte Tankstelle in Polen, tanken in
Deutschland deutlich teurer, bringen hunderte von Sloty nach Hause
und tauschen sie zu schlechtem Kurs zurück, blöd!