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Unvollständige, unsystematische, unübliche und nicht ganz vorurteilsfreie Reisebeobachtungen aus der Altersfreiheit!

Dienstag, 11. Juli 2017

Polen - auf den Spuren der Vergangenheit

Wir lassen Stettin links liegen und fahren weiter gemütlich Chaussee durch die Uckermark über Usedom nach Swinoujscie – Swinemünde.


War es bis dahin ländlich-sittlich, wird’s plötzlich mondän. Vierstöckig stehen die Hotel- und Apartmentbauten in der vordersten Prachtallee gleich hinter den Dünen. Gut gemacht, modern halt, hoch und wenig beschaulich. Dahinter mehrere Strassenfluchten, rechtwinklig, eng und mehrgeschossig, nicht immer schön – wenig gemütlich.


Am Strand herrscht trotz nur vorsommerlicher Temperaturen Hochbetrieb. Die Strandbars mit Veranda und Blick sind gut gefüllt. Unsere ostdeutschen Landsleute scheinen in der Überzahl zu sein, man hört sie deutlich, erkennt die Mundarten. Vor ihnen stehen vereinzelt Cocktails oder Softdrinks, meist jedoch grosse Gläser gefüllt mit leckerem, polnischen Bier. Beliebter Gesprächsinhalt: Wie wenig das hier doch alles kostet.
Nun fehlt noch eine Unterkunft für die erste Nacht in Polen. Hotel neben Hotel und alles voll belegt oder die Zimmer gefallen nicht, die Preise passen nicht zu Ausstattung oder Zustand, trotz passabler Fassade.
Leicht frustriert überqueren wir die fast unsichtbare Grenze in umgekehrter Richtung und ..? Déjà-vu! Preise sind verdoppelt und passen nicht zu …, s. o.!
Endlich, am Rand von Heringsdorf, finden wir in einer Herberge mit christlichen Wurzeln das kleinste vorstellbare Zimmerchen mit winzigem Bettchen aber grossartigem Blick.


Am folgenden Tag, wieder zurück im Zielland, geht’s der Küste entlang gen Osten. Die deutsche Dominanz nimmt ab und es wird preiswerter.


In Kolobrzeg - Kolberg und Ustka - Stolpmünde macht auch die polnische Bevölkerung Urlaub. In Ustka übernachten wir, gemeinsam mit den Insassen eines deutschen Reisebusses, in einem modernen Hotel mit super Ausstattung, Zimmer mit grossem Balkon, Blick auf den Hafen und exzellentem Frühstück für €55 und essen ausgezeichnet am Strand im schönsten Restaurant für €25 – für beide. 


Das Bier schmeckt, das Wetter spielt mit, von gelegentlichen heftigen Regenschauern abgesehen – Urlaub eben!


Irgendwo unterwegs kommen wir durch Darlowo/Rügenwalde, dem Geburtsort der berühmt-berüchtigten Teewurst, deren vornehm dünkender Name, eine intime Beziehung zum britischen High Tea vorgaukelnd, in krassem Gegensatz zu ihrem gewöhnlich hohen Fettgehalt steht! Enttäuschend ist die Tatsache, dass dieser Ort heute keinerlei Zusammenhang mehr zur Produktion dieser Delikatesse aufweist, schade!


Danach, auf kleiner Landstrasse, schaffen wir es dank aussergewöhnlicher Fahrkünste so eben, grössere Schäden an Achsen und Stossdämpfern zu vermeiden. Schlagloch an Schlagloch halten die Fahrbahn zusammen! Immer wieder treten sie auf, als wolle die polnische Verkehrspolitik die Bürger des Landes zu langsamerem Fahren motivieren – ein sinnvolles Unterfangen. Es passt zur Null-Toleranz-Politik bezüglich des Fahrens unter Einfluss von Alkohol, zweifellos ebenso sinnvoll!Sonntags ist in vielen kleinen Orten grosser polnischer Markt. Und dies führt zu endlosen Staus, vor dem Ort und in Gegenrichtung dahinter. Alle wollen hin und suchen einen Parkplatz. Besser am Sonntag nicht Landstrasse fahren – drei Staus = 90 Minuten!

Gdansk – Danzig, hier ist fast alles belegt und es wird teuer – Preise wie in Deutschland und die Stadt voller Touristen aus aller Welt.


Wir geniessen die Altstadt, man muss sie einfach lieben. Der sagenhafte Aufbau der historischen Gebäude hinterlässt ungläubiges Staunen. 


Es ist schlichtweg unvorstellbar, wie die Polen nach 1945 diese Aufbauarbeit haben leisten können. Restauration klingt nach Ausbesserung – aber hier wurden Jahrhunderte alte, völlig zerstörte Häuser wieder errichtet, nicht vereinzelt, sondern hunderte von ihnen, naturgetreu, mit allen Extras, Skulpturen, Handgeländern, Türen und Fenstern, etc.! 


Es lohnt sich in Danzig und Warschau die entsprechenden Museen zu besuchen, um das Ausmass der Zerstörung und die überragende Leistung der polnischen Bevölkerung und ihrer Handwerker – wahre Künstler – ermessen zu können. Danzig ist toll!!!


Wir staunen über norwegische Fahnen, Gruppen von Nordskandinaviern in Restaurants und Cafés, überall. Warum bevölkern die Norweger die Stadt? - fragen wir unsere nette, polnische Bedienung, die so ausgezeichnet Deutsch und Englisch spricht. Cheap flights! - ist ihre Antwort. 'Norwegian', eine Billigfluglinie, fliegt mehrmals wöchentlich Danzig an und alles andere ist dort ebenfalls spottbillig, für Norweger.


Malbork – Marienburg, Hanne auf den Spuren ihrer deutschkreuzritterlich-nationalkatholischen Gesinnung (Scherz, sie doch nicht! - die Antichristlichkatholische!), aber, sie wollte dahin. Die Burg aus dem 13.-15. Jahrhundert ist monumental beeindruckend. Jeder Gedanke an Christlichkeit vergeht allerdings, hört man, dass die feinen Deutschritter aus purer Gewinnsucht Danzig, als damaliges Handelszentrum für Bernsteine, überfallen, niedergebrannt und die Bevölkerung einfach abgeschlachtet haben.
Auf dem Marktplatz des kleinen Ortes wird gefeiert. 


Ein Zug mittelalterlich gekleideter Personen, zum Teil hoch zu Ross, trifft ein. Man versammelt sich zwischen einer Bühne und einem Reiterdenkmal. Reden werden gehalten, lang, ausdauernd und für uns unverständlich. Ein Name fällt häufiger: Kazimierz – dieser polnische König kaufte die Burg für 'n Appel und 'n Ei von den Rittern. Sie hatten schlichtweg kein Geld mehr, konnten die Anlage nicht erhalten und zogen von dannen. Zwei Tage später zog Kazimierz dort ein – welch glückliche Fügung! Dies geschah, mehrere Jahrhunderte vor unserem Besuch, aber genau an diesen Tag!

Was fällt immer wieder auf:
    - Kosciuski, als Strassenname, an Denkmälern, u.v.a.m.. Den Mann kennen wir aus Australien, dort haben polnische Einwanderer einen ganzen Berg nach ihrem Nationalhelden benannt!
    - und Apteka – Apotheken an jeder Ecke, oft zwei, drei hintereinander! Muss man sich Sorgen machen um die Gesundheit unserer Nachbarn?

    Ostroda – Osterode, westliches Masuren, natürlich am See! Ein kleiner, unspektakulärer Ort, mit einer wunderschönen Seepromenade. Abends essen wir bei Sonnenuntergang direkt am Wasser ein Gulasch mit Knödeln – lecker! Erst später stellen wir fest, es war ein böhmisches Restaurant, wahrscheinlich eine Kette.

Warszawa – Warschau, wieder eine grossartige Altstadt. Alles über Danzig Gesagte gilt auch für Warschau. Trotz unserer kanzlerisch, sprichwörtlichen 'Gnade der späten Geburt' befällt uns in Polen häufig deutscher Scham – wir wehren uns nicht dagegen.


Vor dem Präsidentenpalast finden wir Tafeln, die an den Absturz der Präsidentenmaschine vor ein paar Jahren erinnern. An der Absperrung hängen einfache, kleine Holzkreuze. Ein junger Pole erklärt englisch sprechenden Touristen, dass diese Kreuze von Verschwörungstheoretikern stammen, die fest daran glauben, dass Putin das Flugzeug hat abschiessen lassen. Obwohl wir heute, nach mehreren Untersuchungen, mit Sicherheit wissen, ergänzt er, dass diese Behauptung jeglicher Grundlage entbehrt.


Wir suchen sie in allen Restaurants und Kneipen, wir lieben und bestellen sie fast täglich! Sie stehen in einer Reihe neben schwäbischen Maultaschen und italienischen Ravioli – die Pierogi! Gekocht oder gebraten, vegan, vegetarisch, mit Kraut und Fleisch oder ohne, manchmal mit Käse oder verschiedentlich mit mondänen Inhalten, vielleicht sogar mit Trüffeln? – einfach köstlich!

Sauerkraut findet man überall. In einer altertümlichen Beiz in der Warschauer Altstadt auch roh, gepaart mit Salz- und Gewürzgurke, zum Bier und Zeitvertreib bis das Essen kommt. Wir leeren den riesigen Teller und sind eigentlich schon satt. Wehrschaftes Essen, täglich, hinterlässt Spuren.

Torun – Thorn, der nächste Höhepunkt – ein allerliebstes, kleines Städtchen mit wunderschöner Backsteingotik


Mächtige Kirchen, oft nur von aussen schön, innen häufig stilgeschändet, mit überladenen, barocken Altären vollgestopft, wenn auch nicht so übertrieben wie in der Barockkirche in Warschau.


Und dann: Das Rathaus! Imposant und prächtig – allein deshalb lohnt sich der Besuch.
Abends suchen wir lange das gemütliche, kleine Restaurant. Nicht schon wieder ins libanesisch-polnische „Sphinx“, das uns in Malbork so gut gefallen hatte, mit guter, libanesischer Mezze. Immer wieder finden wir es in allen Städten. Auch unser kleines, altes, gemütliches Pierogi Restaurant in Warschau entpuppt sich als Kette.


In Torun finden wir unser Abendessen in einem alten, stimmungsvoll eingerichtetes Lokal, dunkel gemütlich! Müde vom täglichen Fussmarsch durch und um die Stadt sitzen wir schon zehn Minuten am Tisch, als ein Herr von nebenan aufsteht und uns in perfektem Deutsch mitteilt, dass es sich um ein Selbstbedienungsetablissement handelt. Die Auswahl an der Kantinentheke ist begrenzt, wir deuten auf Fleisch und Salat, die Teller werden reichlich gefüllt und wir bezahlen sechs Euro ohne Getränke.


Gniezno – Gnesen, um eine halbe Stunde verpassen wir die Fronleichnamsprozession und müssen uns mit dem ungeordneten Rückzug der Teilnehmer begnügen. Natürlich ist das ein heiliger Feiertag im katholischen Polen. Auch an diesem Tag sollte man nicht auf ländlichen Strassen unterwegs sein. Vormittags kommt der Verkehr vor jedem kleinen Ort ins Stocken, manchmal gibt's Umleitungen über Feldwege – alle stecken im Stau oder folgen der Prozession, bis mittags, dann wird gegessen, und die Wege sind frei!
Die Kathedrale ist mächtig. Vor ihr steht Boleslaw I., hier 1025 zum ersten König von Polen gekrönt, immerhin! … und obwohl:


Schon vorher machte sich Prinz Lech mit seinen Brüdern Chech und Rus auf die Suche nach einem Land, wo sein Volk in Frieden leben könne. Ein weisser Adler (Gniazdo) erhob sich, legendär, aus seinem Nest und hinter ihm ging rot die Sonne unter – Lech war am Ziel, gründete die Stadt Gniezno und nahm den weissen Adler auf rotem Grund zu seinem Wappentier. Polen ward geboren – 1025 oder viel früher eben!


Posnan – Posen, letzte Station, und wir landen im angenehm modernen Sporthotel Puro. Die Stadt ist gross im Vergleich zur kleinen Altstadt. Auf dem Marktplatz steht ein hübsch hässlich verbautes Rathaus


Rund herum ist der Bär los, es ist immer noch Fronleichnam, jetzt geht’s fröhlich zu. Am letzten Abend essen wir zum ersten Mal schlecht, Pech!



Und plötzlich drängt es uns zur Abreise, bitte nicht noch eine Stadtbesichtigung. Kurzentschlossen fahren bis Hamburg durch. Dummerweise verpassen wir die letzte Tankstelle in Polen, tanken in Deutschland deutlich teurer, bringen hunderte von Sloty nach Hause und tauschen sie zu schlechtem Kurs zurück, blöd!

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