Laos
Till
hat Recht – zwei Tage in Vientiane sind genug. Selbst der
Reiseführer schlägt nur drei vor. Ohne diesen genau genug gelesen
zu haben, buchen wir fünf Übernachtungen.
Ein
Adjektiv stiftet Verwirrung: Die laotische Hauptstadt sei 'gemütlich'
im Vergleich mit anderen süd-ost-asiatischen Metropolen! Stimmt,
denn sie ist verhältnismässig klein. Nicht so klein wie uns der
Taxifahrer vom Flughafen glaubhaft machen will – er spricht von
30.000, der Reiseführer von 760.000 Einwohnern – also eigentlich
Grossstadt genug für unsere deutschen Verhältnisse.
Und
Grösse hinterlässt Spuren. Der Verkehr zu den Stosszeiten quält
sich im alten touristischen Stadtzentrum entlang des Mekongs durch
parallel verlaufende Einbahnstrassen in Dreierreihe, justament dann,
wenn unsereins abends das gemütliche Laorestaurant sucht. Immerhin
man spart Geld, denn fussläufig unterwegs ist der Tourist allemal
schneller als die Tuk Tuks!
Bewegt
man sich zur Hauptverkehrszeit durch die Strassen Vientianes, leiden
die Atemwege. Grossmotorige Diesel-SUVs, gänzlich ohne
Start-Stop-Automatik, oft auch mit laufendem Motor als
Verkehrshindernis bei längerfristigem Parken auf Gehwegen
anzutreffen, machen das Atmen schwer. Der Motor betreibt die
Klimaanlage, die dem Fahrer bei 35 C die Entscheidung zugunsten des
Eigenwohls leicht macht.
Am
Mekong, mit Blick auf das thailändische Ufer, fällt es der
Sonne abends schwer, die belastete Luft bis zum Schluss zu
durchdringen. Neben Abgasen leisten hier noch
Ein-Mann-Kleinstflugzeuge mit riesigen Windturboantrieben ihren
Beitrag zur Luftverdunklung. Sie erheben sich auf den staubigen
Sandbänken am Fluss, um aus der Höhe den Sonnenuntergang besser
geniessen zu können.
Dennoch,
an der Open-Air-Restaurant-Meile oberhalb des Ufers kommt bei
eisgekühltem Beer-Lao eine fast ungetrübte Romantik auf. Die
leckere Lao-Bratwurst mit Lemongras und tropischen Gewürzen macht
den Abend perfekt!
Auf
dem Stadtplan von Vientiane zähle ich 38 Vats und Thats. Die Vats
beherbergen die orangerot gekleideten Bettelmönche, die sich
allmorgendlich in Scharen auf den Weg machen, um Nahrung von der
ohnehin schon armen Bevölkerung zu schnorren.
Diese
Mönche stammen in der Regel aus wohlhabenden Familien, die es sich
leisten können, einen oder mehrere Söhne in eine mehrjährige
buddhistische Ausbildung ins Kloster zu schicken.
Bedanken müssen
sich diese Gottesdiener für die Gaben nicht. Der Geber muss
dankbar sein, eine 'gute Tat' vollbringen zu dürfen. Ich denke
immer an Eric aus Myanmar, der beim Thema buddhistische Mönche und
Klöster beinah seine gute Erziehung verlor.
Nicht
alle, aber doch die wichtigsten Vats und Thats (Pagoden) muss man
anschauen, daran geht kein Weg vorbei.
Uns gefallen all die, die
weniger von den heimischen Gläubigen frequentiert werden. Dort
lassen sich alte Kunstwerke bewundern, ohne, dass das Auge durch
andere, moderne, oft schrecklich bunte Dinge, verwirrt wird.
Auch
glimmen dort nicht so wahnsinnig viele Räucherstäbchen – sehr zur
Freude des Abgas geplagten Rachens. Eigentlich selber Schuld, weshalb
reise ich mit einem ausgewachsenen Husten durchs Land?
Wieso
sitzen und stehen eigentlich in jedem Tempel so viele Buddhas?
Man stelle sich eine christliche Kirche vor, überfüllt mit
hunderten von gekreuzten Jesusfiguren in allen Grössen. Ich glaube,
jeder kann seinen individuellen Beitrag zum Glauben leisten und einen
Buddha oder gar eine ganze Pagode zur Ausstattung der religiösen
Stätten beitragen.
Um
bei der Planung der Reise die Anzahl der Stopps niedrig zu halten,
wurden nur drei Orte ausgewählt, die wir besuchen und von denen wir
gegebenenfalls Ausflüge unternehmen wollten. Grundsätzlich eine
gute Idee, die sich jedoch mit der Festlegung des zweiten Ziels als
falsch herausstellt. Wir fahren mit einem Minibus sechs Stunden übers
Land nach VangVien. Die Fahrt durchs Gebirge, über Pässe,
Serpentinen rauf und runter und durch den Urwald ist wunderschön und
abenteuerlich! Die Volksrepublik Laos hat mit brüderlich
chinesischer Hilfe eine autobahnähnliche Schnellstrasse gen Norden
gebaut, vorbei an all den Gebirgspässen. Nur wird diese
Prachtstrasse während der Regenzeit immer wieder überflutet und in
Folge zerstört und unbenutzbar. Wir geniessen die kurvige Fahrt.
Den Reiseführer sollte man zu der Strecke nicht konsultieren – wir
lesen etwas von Banden, die Busse und PKW überfallen!?! Kaum
vorstellbar, die Laoten sind so freundlich und herzlich.
Gefährlich
wäre die Reise weiter östlich, nahe der vietnamesischen Grenze,
wo immer noch Massen von Minen und nicht gezündeten Bomben die
Landschaft z.T. unbegehbar machen. Mehr als zwei Millionen Tonnen
Sprengstoff haben die USA während ihres 'geheimen' Krieges
zwischen 1963 und 1973 über Laos abgeworfen. Bis zu 700 Flugeinsätze
gab es pro Tag, um den Nachschub auf dem Ho-Chi-Minh-Pfand zu
stoppen.
Der
zweite Fehler, s.o., in diesen Tagen heisst Vang Vien, und
Schuld ist der Reiseführer, der positiv berichtet, die
Backpackerhochburg sei längst nicht mehr die Partydestination,
sondern durchaus geläutert und gesäubert durch die spektakuläre
Aktion des laotischen Präsidenten persönlich, der kurzerhand
anordnete, die Trinkgelagestätten am Flussufer abzureissen!
Am
Busstopp treffen wir schon auf eine aufgeregte Engländerin, die
einen Teil des Wegs zum Fluss neben uns geht. Sie spricht schnell und
ist völlig aufgebracht: So ein hässlicher, scheusslicher Ort,
hier müsse sie jetzt eine Nacht verbringen, schrecklich, nur weil
sie sich mit jemandem verabredet hat, hoffentlich findet sie den
jetzt in dem Chaos, und was das wohl für eine Unterkunft sein mag!?!
Die
haben wir in jedem Fall richtig gewählt, wir wohnen im Riverside,
dem schönsten Hotel am Rande des engen, bepackten Vang Vien, direkt
am Fluss mit atemberaubendem Blick auf diese Karstberge, die
wir schon aus China und Vietnam kennen, die aber ihre fantastische
Wirkung nie verfehlen. Nach einem Spaziergang ins Ortszentrum und
einem Abendessen in der 'Luang Prabang Bakery' fällt der Entschluss
leicht, die verbleibenden Tage einfach im Hotel zu verbringen.
Morgens
um sechs donnern Quadbikes mit knatterndem Getöse über die alte,
unschuldige Stahlhängebrücke direkt neben unserem Hotel. So
gegen Mittag wird es ruhiger – ab zwei Uhr kommen sie 'gesichtlos'
zurück. Bikes und Fahrer sind von einer dicken Schlamm- oder
Staubschicht überzogen (je nach Wetter), die Gesichter mit Tüchern
verhüllt, die Gläser der Brillen so eben mühevoll freigewischt.
Nur vom Voranfahrenden einer jeden Gruppe lassen sich Konturen
erkennen.
Am
späteren Nachmittag plötzlich quadbikeähnlicher Lärm! Auf dem
Fluss fahren unzählige schmale Longboats vorbei, die, angetrieben
von Zweitaktmotoren, je zwei Touristen, auf winzigen Plastikstühlchen
hintereinander sitzend, transportieren.
Beim
beschaulichen Abendessen auf dem Balkon unseres Hotels, direkt über
dem Fluss, overlooking dunkle Silhouetten der Karstberge gegen den
noch hellen Abendhimmel, ist alles vergessen. Frieden herrscht.
Tagsüber,
nach dem Abebben des Quadbikeflows, liegen wir am Pool und lesen
ungestört, bis die beiden schwimmenden Restaurants am
gegenüberliegenden Flussufer beginnen, werbewirksam und mit Hilfe je
eines plärrenden Lautsprechers, musikalisch Kunden anzulocken.
Leider erfolgt dies nicht synchron, sondern mit unterschiedlichsten
Musikstilen und keineswegs ausgetaktet. Völlig vergeblich obendrein,
denn Gäste für die kleinen Flösse, auf denen man gemütlich an
niedrigen Tischen liegen könnte, sind weit und breit nicht in Sicht.
Am folgenden Tag interveniert das Hotel zugunsten seiner Gäste, die
Musikbeschallung ist um einige Dezibel niedriger.
Wären
der Ort und die Touries nicht, kämen wir wieder. Dann könnte man
den empfohlenen Spaziergang über die Brücke und durch die
dahinterliegenden Reisfelder, vorbei an den schroffen, steilen Hängen
der Karstberge wagen, das wäre toll!
Letzter
Stopp Luang Prabang, wiederum nach sechs Stunden Minibusfahrt durch
atemberaubende Landschaft. Im Bus kommt Unmut auf, weil wir merken,
dass wir alle unterschiedliche Tarife bezahlt haben. Die Aufregung
legt sich wieder, alles in Laos ist so billig, dass man ständig
ein schlechtes Gewissen hat, Dienstleistungen zu so niedrigen
Preisen in Anspruch zu nehmen. Unterwegs machen wir zweimal Pause an
einem Kiosk, Toiletten fürs Geschäft in freiem Fall und ohne
Wasserspülung gibt's im Hof. Neben der Toilette steht ein Fass mit
Wasser und einem Schöpfgerät, funktioniert problemlos.
Am
Busterminal in Luang Prabang fragen zwei junge Deutsche, ob wir uns
nicht mit ihnen ein Tuk Tuk in die Stadt teilen könnten. Na klar,
kein Problem, und während wir noch auf unser Gepäck warten, dass
vom Dach des Busses heruntergereicht wird, sind wir plötzlich
umgeben von jungen Backpackern aus England, Australien, Deutschland
und der Schweiz. Die Fahrer organisieren ein grösseres Gefährt und
die jungen Leute feilschen, was das Zeug hält. Zehn sind wir,
als es losgeht, und ich zahle die Hälfte, obwohl wir als erste
gleich um die Ecke wieder aussteigen. Ungläubige Gesichter und dann
eine herzliche Verabschiedung – mir wird ein wenig wehmütig zu
Mute, sie hätten alle meine Schüler sein können. Leider gibt es
kein Wiedersehen, wahrscheinlich haben wir nicht in den selben
Kneipen getrunken und in anderen Restaurants gegessen.
Wenn
man nach Laos reist - und das sollte man, wegen der netten Leute,
der tollen Landschaft, dem leckeren Essen (fünf verschiedene Sorten
Bratwürste, Springrolls, fresh and fried, mit und ohne Fleisch, Laab
mit Rind, Schwein, Huhn oder vegetarisch, dried Beef, Nudelsuppen,
usw.), dem mighty Mekong, den Elefanten, Tigern, Leoparden,
Wasserfällen, Vats und Thats u.v.a.m. - dann muss man nach Luang
Prabang, weil es das alles da gibt.
Tiger und Leoparden
heutzutage allerdings nur noch in einem der letzten Stummfilme aus
dem Jahr 1927. An zwei Orten in der Stadt wird der Film täglich,
kostenlos und 'open air' gezeigt. Das Werk ist absolut sehenswert und
wurde von den selben Leuten produziert, die auch den ersten King Kong
Film in schwarz/weiss gedreht haben.
Luang
Prabang ist sehr touristisch, auf eine freundliche,
unaufdringliche Weise. Selbst dort, wo ein Café, bzw. Restaurant
neben dem anderen liegt, strahlt die Stadt eine ruhige Gemütlichkeit
aus. Darüber hinaus bietet sie offenbar alles, was junge und alte
Besucher anzieht. Das Publikum ist angenehm gemischt.
Die
letzten drei Tage verbringen wir zwanzig Kilometer ausserhalb der
Stadt, in dem kleinen Resort 'Hillside'. Holger holt uns
persönlich aus dem Hotel ab. Er ist Deutscher, seit vielen Jahres im
Land, verheiratet mit einer Laotin und Vater eines fünfjährigen
Sohnes. Am Wochenende lebt er mit seiner Familie dort mit den Gästen,
wochentags managt Pierre aus Frankreich den Laden.
Als
erstes werden wir Rusty vorgestellt. Der Hund des Hauses ist
friedlich und schliesst sich jeden Morgen der ersten Wandergruppe an,
die das Resort verlässt. Noch nie haben sich Wanderer verlaufen.
Rusty kennt alle Wege und geleitet jederman zuverlässig nach
Hause.
Wir
entscheiden uns für die einfachste Wandervariante, nicht zu weit
wegen der Hitze und ohne grosse Steigungen soll sie sein, wegen der
angegriffenen Knie. Rusty ist nicht in Sicht als wir uns nach einem
gemütlichen Frühstück auf den Weg zu den Wasserfällen machen.
Nur
zwei Kilometern und wir kommen in das Dorf einer ethnischen
Minderheit, finden die Ortsmitte, biegen nach Holgers Weisungen links
ab und gelangen an das Tor am Ortsausgang, durch das man nicht
gehen darf, wenn es einen Todesfall im Dorf gegeben hat. Die
Vegetation links und rechts des winzigen Tores, einen Meter breit und
knapp zwei Meter hoch, ist unberührt, woraus zu schliessen ist, dass
kürzlich niemand verstorben sein kann.
Nach
wenigen Metern bemerken wir einen jungen Mann der uns folgt. Verbale
Kommunikation ist unmöglich, Mimik und Gestik bedeuten, dass er
uns den richtigen Weg zeigen möchte. Er warnt uns vor dem plötzlich
steil nach unten führenden Weg und bietet uns immer wieder hilfreich
seinen Arm an. Ich lehne dankend ab, lieber falle ich allein, wohl
wissend, dass mich sowieso niemand halten kann – eine gewisse
Verantwortung für hilfreiche Personen ist mir nicht abzusprechen!
Holger
hatte uns eingeschärft, in jedem Fall rechts zu bleiben, wenn der
Pfad sich teilt, das sei der leichtere Weg nach unten zu den
Wasserfällen, der linke eigne sich besser für den Aufstieg. Wir
rechnen nicht mit dem energischen Widerstand unseres Führers. Erst
nach einer fünfminütigen Auseinandersetzung mit Händen und
Füssen können wir uns durchsetzen. Eigentlich ist es so, dass
er links und ich stoisch rechts abbiege und – der Klügere gibt
nach! Wir gehen also rechts und... na ja, der junge Mann kennt
sich aus! Umgeben von dichtem Urwald kämpfen wir uns vorwärts
durchs Tarzanwunderland, Baum an Baum und alle dicht behangen mit
Lianen.
Die
von Holger zu unserer Beruhigung angekündigten Gehwegplatten
haben der wuchernden Natur nichts entgegenzusetzen. Wenn
in tropischen Urwäldern ein Baum umfällt, hat Zivilisation keine
Chance. Trotzdem, wir schaffen es, bergauf, bergab, bis zu der
Stelle, an der die Wassermassen zu Tal toben, wenn nicht, wie jetzt,
gerade Trockenzeit ist – Gott sei Dank, wir wollen uns den Weg
nicht im Regen vorstellen. Nach dem mühseligen Abstieg beschliesse
ich bergauf die Stufen bis zur Abzweigung zu zählen. Es sind
1.200 – eine leichte Wanderung eben.
Auf
dem Weg zurück schwelen in dem Dorf die Reste der zahlreichen
Lagerfeuer der vorangegangenen Nacht. Holger erzählt, dass es in
diesen Dörfern immer noch die Tradition der Geschichtenerzähler
gibt. Man versammelt sich abends ums Feuer und die Alten erzählen
stundenlang und oft über mehrerer Tage. Leider gibt es seit einiger
Zeit immer mehr Stromaggregate, die den Betrieb von Fernsehern und
den Empfang unzähliger thailändischer Sender ermöglichen, die von
morgens bis abends billig produzierte Soaps ausstrahlen. Die
Tradition des Geschichtenerzählens geht stark zurück. Holger
hat den Dorfältesten angeboten, die Geschichten aufzunehmen, um sie
auf CD erhalten zu können. Sie hätten ihn lange angeschaut und dann
gefragt, was denn für sie dabei rausspringen würde.
Es
folgen zwei Tage im Schatten am Pool, mit frisch gepresstem
Mangosaft und sehr leckerem Essen.
Und wir dürfen uns an Pierres
französischem Wein laben. Seine Eltern waren auf Besuch gewesen und
hatten mehrere Kartons aus Frankreich angeschleppt. Den ersten Karton
teilt er eines Abends grosszügig mit allen Gästen – eine
willkommene Abwechslung zu Beer Lao. In den ersten zwei Wochen hatten
wir in Restaurants immer wieder ein Glas offenen Wein probiert, rot
und weiss. Es war nur stets der gleiche Massenimport aus Chile und
egal in welcher Farbe schmeckte er gleich scheusslich!
Bei
nächsten Besuch in Laos landen wir gleich in Luang Prabang und
machen von dort aus noch eine Fahrt den Nam Ou rauf und runter
durch die Karstberge.
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