Prag in Tschechien und
Breslau und Liegnitz in Polen
Auch mal schön! Nicht so exotisch, wie
unsere Ausflüge in andere Erdteile, dafür fast vor der Haustür,
ohne krampffördernden Langstreckenflug erreichbar.
Prag über Ostern ist nicht unbedingt
sinnvoll für frei(nicht)schaffende Pensionäre – aber auch wir
wollen uns mal mit den Massen tummeln. Burg, Karlsbrücke und
Wenzelsplatz wären langweilig ohne den Rest der Welt.
Volle
Restaurants und Bierkneipen sind leer nicht gemütlich – Pils
schmeckt besser in Gesellschaft und selbst Kathedrale und Palast
wollen mit Untertanen bevölkert sein, sonst fühlen sich Kardinal
und König einsam.
Wir geniessen Kulinarisches und Obskuritäten wie
die John-Lennon-Mauer, eine Pilgerstätte der Fans.
Alles Weitere entnehmt bitte den
Reiseführern.
Der Abstecher nach Polen ist eine
Reise in meine familäre Vergangenheit. Meine Eltern stammen aus
Schlesien, Papa aus der schlesischen Hauptstadt Breslau (heute
Wrozlaw),
Mama aus Liegnitz (heute Legnica). Beide wollten nach dem
Krieg partout nicht mehr zurück in ihre geliebte Heimat, nicht
einmal auf Besuch. Sie wollten es so in Erinnerung behalten wie ...
und haben es somit verpasst, mir Heimatliches näher zu bringen. Wie
schön wäre es gewesen, wenn sie mir (ihre) Geschichte persönlich
vermittelt hätten. So krame ich verzweifelt in unvollständigen
Erinnerungen, halben Geschichten und einzelnen Worten, die ich seit
über sechzig Jahren mit mir herum schleppe.
Mein Grossvater Reinhold Jung heiratete
in zartem Alter von über vierzig Jahren, glatzköpfig und
wirtschaftlich äusserst erfolgreich, meine damals neunzehnjährige
Grossmutter Elfriede Olafske, auch nicht von schlechten Eltern. Eine
gute Partie, wie man so sagt oder etwa doch eine arrangierte
Heirat? Genaueres ist nicht überliefert.
Reinhold liess sich nicht lumpen und
baute für Elfriede und die nachfolgenden drei Kinder (mein Vater
Friedrich-Wilhelm war der Nachzügler) eine herrschaftliche Villa in
Lehrbeutel, auf deren Grundstück (2 ½ Morgen Land) im Winter Wasser
auf die Wiese gespritzt wurde, damit die Kinder auf dem Gefrorenen
Schlittschuh laufen konnten, wie Papa begeistert zu erzählen wusste.
Ausser der fünfköpfigen Stammfamilie beherbergte das Haus noch
einen Gärtner, den Chauffeur, die Köchin, das Zimmer- und das
Kindermädchen und meist auch die Tanten Käth'l und Hert'l, etwas
ältere, unverheiratete späte Mädchen, Cousinen meines Vaters –
es war also eine grössere Villa, nach der wir in Lehrbeutel ausschau
halten wollten.
Am ersten Nachmittag wandern wir zu dem
vornehmen Viertel ausserhalb der Innenstadt, nachdem wir am
historischen Ring, in einem Andenkenladen im Breslauer Rathaus, den
Nachdruck eines Stadtplans von 1937 gefunden haben – 'in den
Grenzen von 1937', denke ich noch, mit leichtem Unbehagen!
Lehrbeutel, war nicht nur der Name des Ortsteils, sondern auch
eine Strasse. Wir finden beides, haben aber keine Ahnung, wo das Haus
meiner Ahnen sein könnte. Wir suchen nach einem grossen Haus (ich
habe nur eine vage Einnerung an ein Foto), aber das damals neu
entstandenen Viertel, war schon in bemerkenswerter Einstiligkeit
erbaut worden. Viele der Häuser sehen prächtig aus, müssten
aber dringend renoviert werden. Von aussen ist zu sehen, dass in den
grossen Kästen jeweils mehrere Familien wohnen. Aber, das Viertel
gefällt uns.
Der zweite Weg am nächsten Morgen,
führt in eine Dependance des Rathauses, das Einwohnermeldeamt. Und
super, dort gibt es speziell eine Abteilung für Suchende wie uns.
Wir fragen nach der Geburtsurkunde meines Vater und meines früh
verstorbenen Bruders und der Heiratsurkunde meiner Eltern. Eine
wirklich hervorragend Deutsch sprechende, freundliche Polin macht uns
Hoffnung auf die Dokumente und bittet uns, am Nachmittag wieder
vorbeizukommen. Handelskammerdaten und Telefonbücher könne man in
einem Archiv, gar nicht weit entfernt, auf Mikrofilm anschauen. Wir
machen uns auf den Weg und werden fündig. Eintragungen der Familie,
des Unternehmens, meiner Grosseltern, meiner Mutter, meines Vater,
vor und nach der Heirat. Jetzt ist der Rest ein Kinderspiel, die
Hausnummern stimmen noch, nur die Strassen sind umbenannt und wir
haben den alten Stadtplan. Ich werde ein wenig wehmütig, als wir
feststellen, dass das Haus meiner Familie in neuem Glanz erstrahlt,
wunderschön renoviert ist es das Schmuckstück Lehrbeutels.
Breslau gefällt uns, viele historisch
wichtige Gebäude sind wieder hergestellt, die alten Gebäude am Ring
und das Rathaus sind sehenswert. Schaut man hinter die Kulissen,
dann sieht es nicht immer so positiv aus. Viele Häuser halten hinten
nicht, was die Fassaden versprechen. Trozdem, die Polen können stolz
sein auf das Erreichte. Es gibt nur noch einen Kolonialwarenhandel
am Ring und die polnische Inhaberin kann mir nicht sagen, ob das der
Laden ist, in dem mein Vater vor dem Krieg seine Lehre zum
Kaufmannsgehilfen absolviert hat, sie betreibt ihn erst seit 1980.
Liegnitz, nur 60 km entfernt, strahlt
ebenfalls im Glanz der renovierten Gebäude. Der Weg ins Rathaus ist
trotz der freundlichen Hilfe eines jungen, deutsch sprechenden Paares
ein Enttäuschung. Alle Geburts-, Einwohnermelde- und Heiratsregister
der Stadt und der umliegenden Landkreise sind Ende des Krieges
zerstört worden. Schade!
Auf dem Weg gen Norden kommen wir an
der überdimensionalen Jesusstatue vorbei, die vor ein paar Jahren
von der katholischen Kirche Polens auf die grüne Wiese gesetzt
wurde. Gefühlte 25 m hoch, imposant und ein wenig
(furcht?)erregend, wie er da so mächtig übers platte Land und
weit über die Grenze ins ungläubige Deutschland schaut und gesehen
werden kann. Ein Pilgerort der neueren Art, nicht schön, aber selten
– hübsch hässlich vielleicht? Uns fehlt dafür einfach der
richtige Sinn.
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