... on the road again - wer rastet, der rostet!
Über uns
- hathojung
- Unvollständige, unsystematische, unübliche und nicht ganz vorurteilsfreie Reisebeobachtungen aus der Altersfreiheit!
Mittwoch, 10. Februar 2010
Wie war’s denn in Indien?
Die Frage ist nicht so leicht zu beantworten, da kommt man schnell vom Hundertsten ins Tausendste, läuft Gefahr sich an den negativen Eindrücken fest zu beissen und kann dann dem Zuhörer am Ende gar nicht so richtig vermitteln, dass es dennoch eine tolle Reise war, die man nicht missen möchte!
Wir waren froh, als sie sich dem Ende zuneigte und es wird eine längere Ruhepause geben bis zum nächsten Indienabenteuer! Aber trotzdem!
Indien ist ein faszinierendes Land – unglaublich farbenfroh und trist!
Wir sind begeistert und deprimiert – angetan von grossartiger Kultur und enttäuscht von niederschmetternder Vernachlässigung – überwältigt von atemberaubender Schönheit und abgelöscht von stumpfsinniger Gleichgültigkeit.
Es wäre interessant, von Meike und Malte zu erfahren, ob und wie sich das Land in den letzten fünfzehn Jahren in ihren Augen verändert hat – sie sind damals einige Monate dort gereist. Ein Mitglied unserer Studienreisegruppe hat vor sechzehn Jahren eine fast identische Tour gemacht und rief jeden Tag aufs Neue aus, wie sehr sich alles verändert habe. Seine Beobachtungen waren hauptsächlich negativ und bezogen sich auf den Schmutz, die Anzahl bettelnder Frauen und Kinder, das Spiessrutenlaufen durch aufdringliche, ambulante Händler vor jeder Sehenswürdigkeit und die Mengen an allgegenwärtigem Plastikmüll am Strassenrand, zwischen den Häusern, an Flussläufen – einfach überall.
Vielleicht ist es auch eine Frage des Alters, wir merken, dass uns diese Dinge, je älter, desto mehr, Mühe machen. Trotzdem, weder Südafrika, Südamerika, Vietnam, noch China haben wir diesbezüglich so negativ empfunden – Ecuador ist ein weitaus ärmeres Land als Indien!
Unsere Gruppe bestand, Gott sei Dank, nur aus 12 Personen, zwei davon jünger (50), der Rest älter als wir. Nur ein oder zwei der Zwölf waren gewöhnungsbedürftig!
Amit unser Reiseführer war grossartig, sein Deutsch von unglaublicher sprachlicher Vielfalt und obendrein akzentfrei.
Der Fahrer unseres Busses, ein Sikh (allerdings ohne Bart und Turban) brachte uns mit traumwandlerischer Sicherheit durch das Verkehrschaos in Städten, auf Landstrassen und Autobahnen. Überall, auch auf Letzteren wird nicht nur rechts und links überholt, sondern es kommen einem auch LKWs, Kamelgespanne und heilige Kühe entgegen! Nur wenige, ängstliche Mitreisende meinten, er solle doch bitte auf der Landstrasse nicht direkt vor den Kurven überholen!
Der Beifahrer – er befand sich quasi in der Busfahrerlehre, war freundlich und immer bemüht seine fünfzehneinhalb englischen Wörter zu praktizieren, griff uns Alten beim Aussteigen vor der letzten hohen Stufe hilfreich unter die Arme, versorgte die gesamte Mannschaft mit kühlen Getränken und hing beim Fahren oft aus dem Fenster, um den gerade Überholten zu signalisieren, unser Bus werde ihnen jetzt direkt vor die Schnauze fahren, und wenn ihnen ihr Fahrzeug und oder ihr Leben lieb seien, wäre es doch vielleicht vernünftig die Geschwindigkeit etwas zu drosseln!
Es war kein Urlaub! Schliesslich sind wir 2'300 km mit dem Bus gefahren, fünfmal geflogen, zweimal davon neun Stunden und länger und sassen dreissig Minuten auf einem schwankenden Kamel, ohne hinunterzufallen.
Wir haben innerhalb von zwanzig Tagen in vierzehn unterschiedlichen Hotels übernachtet und genauso oft unsere Koffer ein- und ausgepackt!
In dieser Zeit haben wir sechzehn Städte besucht, vier Moscheen, fünf muslimische Grabmäler, acht Hindutempel, darunter drei Jain-Heiligtümer und dreizehn riesige Festungen, Forts und Paläste durchwandert – einige der Paläste waren auch unsere Hotels!
Jeden Tag gab es mehrere, mehrstündige Besichtigungen, gespickt von Tausenden Details – einige wenige davon haben wir, glaube ich, behalten!
Morgens wurde zwischen sechs und sieben geweckt, eine halbe Stunde später sollten die gepackten Koffer vor der Zimmertür stehen, und es gab Frühstück. Zwischen halb acht und halb neun sassen wir im Bus – und das bis zu fünf Stunden am Tag. Abends kamen wir i.d.R. kurz nach Sonnenuntergang im Hotel an, neunzig Minuten später begann das Buffet, und meistens fielen wir anschliessend total müde ins Bett.
Der Bus war solide gebaut und hatte, im Gegensatz zu vielen anderen Fahrzeugen auf indischen Strassen, ein überzeugendes Reifenprofil. Er war nicht ganz neu, die Bremsen quietschten und er hatte keine Klimaanlage und vor allem keine Heizung. Es zog durch Türen und Fenster! Im Januar ist es im Norden Indiens nachts und morgens empfindlich kalt – dies ändert sich, wenn die Sonne scheint, schon gegen zehn Uhr – die erste Woche war es jedoch meist bedeckt und neblig, in Delhi regnete es sogar! Morgens waren wir völlig eingemummelt in alle Pullover, Fliesse und Regenjacken – wenn die Sonne rauskam, sassen wir schwitzend und auf Abstand zum Nachbarn.
Einen Gruppenkoller bekam ich nicht, war aber doch froh, als wir uns in Bombay von allen verabschieden konnten. Dies war die dritte Gruppenreise in zehn Jahren – in durchweg positiver Besetzung – wobei uns die Ostdeutschen mit ihrem unverblümten Witz oft am Besten gefielen – diesmal hing unser Herz aber auch an zwei Hamburgern, ein paar Jahre älter als wir und – man glaubt es kaum – Lehrern. Ich werde nie wieder „so“ über diese merkwürdige Spezies Mensch lästern – versprochen!
Dreimal positiv und trotzdem glauben wir diesen Anspruch nicht andauernd strapazieren zu dürfen – vorerst also keine Gruppenreisen mehr! Oder nur kurze!
Ankunft in Indien
Delhi ist nicht unsere Lieblingsstadt! Der internationale Flughafen morgens um drei Uhr macht einen denkbar schlechten Eindruck. Von den drei Geldautomaten ging nur einer und den fand ich in einem Bretterverschlag der ICICI-Bank. Beladen mit 10'000 Rupien folgten wir unserem Pick-Up-Fahrer zu seinem Auto. Also nicht so direkt, denn er konnte es kaum wiederfinden in dem dicken Nebel. Der Swiss-Airbus war nach der Landung einfach stehen geblieben und wir mussten eine geschlagene Stunde auf das „Follow-Me-Fahrzeug“ warten. Der Pilot meinte, die würden uns bei dem Nebel auf dem Rollfeld gar nicht finden! Die Scheiben des Kleinwagens beschlugen von innen und aussen. Der Fahrer versuchte sich mit einem Lappen Klarheit zu verschaffen, mein Hinweis, es von aussen doch einmal mit dem Scheibenwischer zu versuchen, fruchtete nur bedingt, ich musste ihn mehrmals darauf hinweisen.
Die Sicht betrug maximal zehn Meter. Die Strassen waren leer, was eigentlich positiv gewesen wäre, nur es verhinderte, dass unser Fahrer auch niemandem mit besserer Sicht folgen konnte. Wenn uns mal einer überholte, fuhr der ja auch noch schneller und verschwand kurzer Hand im Nebel. Religiöse Menschen hätten während dieser Fahrt ständig gebetet – Gräben, Mittelstreifen und andere Mauern kamen uns bedenklich nah, nur dreimal stieg der Fahrer an einem Kreisverkehr aus um sich zu orientieren – aber es klappte dennoch - entgegen allen Erwartungen!
Wir stiegen aus und sahen durch den Nebel, im diffusen Licht einer Strassenlaterne, ein dreistöckiges Gebäude, umschlossen von Baugerüsten. Vergeblich suchte ich die Leuchtreklame unseres Dreisternehotels zu entdecken. Wir sprangen mit unseren Koffern behände über einige Gräben und Sandhaufen, duckten uns unter den Stangen des Baugerüsts hindurch zu einer Tür und schon standen wir, einige Stufen später, in der Rezeption. Froh dem frühen Nebeltod entronnen zu sein, müde und unfähig etwas zu denken, füllten wir den Anmeldezettel aus und liessen uns willenlos in den dritten Stock führen. Die Zimmertür war nur angelehnt – positiv, weil der „Boy“ auch gar keinen Schlüssel hatte. So alt war die Technik in diesem Saftladen nicht, um den Strom zu aktivieren, steckte er eine Visitenkarte des Hotels in den Schlitz, und es ward Licht! Gleichzeitig donnerte im Bad die Lüftung los – positiv, denn es roch muffig mit einer deutlichen Note eines intensiven Desinfektionsmittels! Wir duschten, packten aber nicht aus und sanken ins Bett.
An Schlaf war nicht zu denken, nach dem unsere Lüftung im Bad ausgeschaltet war, gab es da noch ein anderes Geräusch – es erinnerte an ein Notstromdiesel, nicht weit entfernt, irgendwo im Gebäude – der zu allem Übel auch noch unsere Betten in leichte Schwingungen versetzte. Drei Anrufe an der Rezeption und ein Besuch des hilflosen Boys später gaben wir auf. Der Tag brachte es an denselben! Unser winziges Fenster war von der Rückenlehne einer grossen Bank verdeckt. Diese Bank stand auf der riesigen Terrasse, die sicherlich bessere Zeiten gesehen hatte, am Morgen des 8. Januar 2010 aber von einer dicken grauen Staubschicht bedeckt war. Auf dem Boden Bauschutt und auf dem Gerüst davor die ersten indischen Arbeiter, die uns interessiert beobachteten. Im Zimmer bröckelte der Putz von den Wänden und der Decke, die Möbel waren abgestossen, die Bedienung der Klimaanlage hing an einem Kabel aus der Wand, die Betten waren 1.80 m lang und feucht – usw., etc. – man sollte nicht immer nur klagen!
Wir hatten falsch gedacht und waren der Meinung gewesen, es müsse ja nicht immer und überall ein Viersternehotel für 250 Euro sein. Die von uns vorgebuchte Herberge mit drei Sternen kostete schliesslich nur 110 Euro pro Nacht bei ebookers! Wie gesagt, man macht Fehler und lernt so, dass Indien, was Hotels in Städten angeht, gestört teuer ist.
Reumütig wanderten wir gegen 10:00 Uhr in Richtung der vier Sterne, dem Hotel, von dem aus auch unsere Gruppenreise drei Tage später beginnen sollte.
Über den Connaught Place in Delhi (er wurde gerade generalüberholt) steht im Reiseführer, dass man dort nur allzu gern von Schleppern in Reisebüros entführt werde, man solle denen nicht folgenden. Wir, mit unseren Rollkoffern offensichtlich heimatlos, waren natürlich einfache Beute! „Sir, can I help you? Where are going? Which Hotel are you going to? That’s not a walkable distance! Taxi? What is your name? I am only trying to be helpful! You are not a polite man!” Und er hatte recht, das war ich nach kurzer Zeit nicht mehr. Des Englischen einigermassen mächtig, kann ich in dieser Sprache auch deftig unhöflich sein – und ich bin stolz darauf!
Hanne ist das immer nur peinlich! Vielleicht hat sie ja Recht!
New Dehli ist kolonial langweilig, breite Strassen, koloniale und andere Paläste in riesigen Gärten, Regierungsgebäude, Museen und Hotels. Auch auf dem Weg vom und zum Flughafen hatten wir keine eigentliche Stadt entdeckt. Wo wohnen die 15 Millionen, wo gibt es Geschäfte? Wir sahen bei unserem fünfstündigen Rundgang am folgenden Tag nichts dergleichen. Dafür wurde überall geübt und aufgebaut. Die koloniale Prachtstrasse, die sich in einer Flucht vom Palast des englischen Vizekönigs – heute wohnt da der Präsident – bis zum India Gate hinzieht, sollte am 26. Januar 2010 Zentrum der Präsentation indischer Grösse sein. Wir durften das „unglaublich britisch“ anmutende Spektakel, die Feier zum 60. Jahrestag der Republik in Mumbai am Hotelfernseher verfolgen. Rechts und links der sechsspurigen Strasse suchte man mit Metalldetektoren überall nach versteckten Bomben oder Minen. Die 300 m breiten Rasenstreifen wurden mit Tribünen bebaut – überall Militär und Polizei. Vom Hotelzimmer aus hörten wir jeden Morgen ab fünf Uhr früh die Trommelwirbel und den Lärm der noch nicht so exakt spielenden Militärbands.
Erst mit der Reisegruppe drangen wir in Wohngebiete vor.
Kulturschock
Die Fahrt zum Domestic Airport, Delhi, mit beeindruckender Halle im Vergleich zum Indira-Gandhi-International, machten wir in einem Royal Ambassador, dem bis vor einigen Jahren einzigen indischen Auto. Beindruckend viel Platz und Kopfraum im Fond und der echte Sikh, mit Bart und Turban, machte die Fahrt zum Erlebnis. 400 Rupien = 6.40 Euro kostete der Spass, im Vergleich zu den 25 Euro Abholservice mit Fahrer und Guide vom Flughafen in Varanasi unserem Ziel (reisebürogebucht!).
Jetzt sind wir in Indien, Felder rechts und links, immer wieder einstöckige Gebäude am Strassenrand, davor Pritschen, auf denen Männer liegen, sitzen, hocken, während die Frauen gebückt in den Reisfeldern stehen. Was wäre Indien ohne seine Frauen – jede einzelne ein Farbtupfer.
Farbe sieht man sonst noch auf Werbeplakaten und -schildern, solange sie neu sind - ab und zu auch mal ein frisch gestrichenes Haus, ein grellbunter Zaun oder ein frisch gewaschenes Tuch. Jetzt erleben wir auch den wilden Verkehr, den wir aus anderen asiatischen Ländern kennen. Es wird überholt, als gäbe es kein Morgen – instant Karma is gonna get you! Die Aussenspiegel sind stromlinienförmig angeklappt, sonst würden sie nicht lange überleben. Der Überholvorgang ist abgeschlossen, wenn die Hinterachse des Überholenden neben der Vorderachse des Gegners auftaucht, dann zieht man gnadenlos vor den Überholten, um gerade noch dem Entgegenkommenden auszuweichen zu können. Abenteuerlich – es geht um Leben und Tod!
Das Hotel ist super, fast peinlich berührt von dem Luxus, freuen wir uns über unser Zimmer mit Blick auf den riesigen Garten.
Für 100 Rupien (1.60 Euro) nehmen wir ein Tucktuck (eigentlich thailändisch) in die Innenstadt der 1.5 Millionenmetropole. Im Gegensatz zu China, wo in einer solchen Stadt längst Hochhäuser stehen würden und zu Vietnam, wo die handtuchbreiten Wohn- und Geschäftshäuser wenigstens fünfstöckig und überwiegend frisch gestrichen wären, sind die Gebäude hier ein- bis dreistöckig und erscheinen grossenteils vernachlässigt. Die Fassaden vielfach schwarz, wahrscheinlich vom Monsunregen, eingefallene Wände, Bauschutthalden, überall Abfall und Plastikmüll auf der Strasse.
Wir sehen die ersten Kühe, Schweine, Ziegen, Esel und eine unüberblickbare Anzahl von streunenden Hunden im Strassenbild. Tausende von Fahrrädern, Lastwagen, Mopeds, Tucktucks und Autos machen sich gegenseitig den Platz streitig und das Leben schwer. Unser Fahrer ist mit allen Wassern gewaschen im Strassenverkehr, er ist gut gekleidet, frisch rasiert, telefoniert während des Fahrens mit seinem Handy, das viel moderner aussieht als meins und versucht uns mit beredten Worten zu entlocken, was wir alles noch so vorhaben, um sich uns dann für die folgenden Tage als persönlicher Berater, Guide und Fahrer zur Verfügung zu stellen. Wir bleiben höflich aber bestimmt und bitten ihn, uns so nah wie möglich an den Fluss zu fahren, dort wo all die anderen Pilger und Touristen auch hin wollen, an den heiligen „Gangha“!
Nicht, dass es nicht genug Tucktucks gäbe, Ökonomen würden von einem klassischen Überangebot sprechen, trotzdem gehen wir auf sein Angebot ein, uns wieder zurückzufahren. Er parkt in einem grossen Hof, mit 100 anderen Fahrzeugen und ist nur besorgt, dass wir ihn auch wieder finden. Seine Neffen kommen sogleich und bieten uns ihre Begleitung an. Wir lehnen dankend ab.
Varanasi ist die heilige Stadt am heiligen Fluss, wer hier stirbt, dem wird im Jenseits höchstes Glück zuteil! Morgens und abends, bei Sonnenauf- und -untergang finden am Fluss rituelle Feiern statt, deshalb strömen die Pilger aus ganz Indien täglich in Scharen an das hochgradig verschmutzte Wasser und Tausende von Touristen begaffen sie dabei. „Boat? Do you need a boat? Postcards? Sir, boat?“ Wir schlendern mit ständigem „No, thank you!“ auf den Lippen am Fluss entlang und retten uns vor den Angeboten auf die Terrasse einer Low-Budget-Pension und bestellen einen Massallatee - diesen süssen, stark gewürzten Milchtee, den man in ganz Indien bekommt - und geniessen den Blick auf den ausgetrockneten Fluss. Der Tee kommt und ist so heiss, dass der junge Mann die Gläser nur oben am Rand anfassen kann, dort wo wir unsere Lippen hätten ansetzen sollen. Hanne überzeugt mich, dass der Tee bestimmt den Pflanzen auf der Terrasse auch sehr gut bekommt – besser als uns. Zurück geht es durch das Gewirr kleiner Gassen, an manchen Stellen nur ein Meter breit. So richtig kann man die Umgebung nur geniessen, wenn man zwischendurch stehen bleibt. Während des Laufens schaut man tunlichst auf den Boden, wo nicht nur die heiligen Kühe ihre Notdurft hinterlassen.
Wir schenken uns die rituellen Feiern am Abend und entscheiden uns für die am nächsten Morgen. Traditionell ist man um kurz vor sechs auf dem Boot, um den Sonnenaufgang und die Kulisse der Stadt im Licht der aufgehenden Sonne zu geniessen. Das heisst, wir stehen um fünf auf, das Hoteltaxi wartet und bringt uns ohne Frühstück bis kurz vor den Fluss. Ein zweiter Mann übernimmt und schleust uns, mit schnellem Schritt, an den Bettlern und Händlern auf der Treppe vorbei bis ans Ufer. Dort übergibt er uns dem Bootseigner, der uns noch ein kleines Blumengesteck verkauft und uns dann dem Ruderer überlässt. Dieser arme Kerl hat die schwerste Aufgabe und erhält später auch das grösste Bakschisch, mit dem er aber keinesfalls zufrieden ist, sein bis dahin strahlendes Lächeln schmilzt dahin.
Das mit dem Sonnenaufgang muss eine tolle Sache sein, da wird man dann von der Sonne gewärmt in diesen frühen Morgenstunden – aber natürlich nur, wenn sie scheint!
Also sitzen wir verfroren im Ruderboot und beobachteten die Unentwegten, die in die trüben Fluten gleiten und sich von Kopf bis Fuss waschen. Die Kleidung wäscht man gleich mit. Das Wasser hat bestimmt nicht mehr als zehn Grad. Mit uns bewegen sich nur etwa hundert weitere Boote auf dem Wasser. Wie muss das zur Hauptsaison sein – unvorstellbar.
Es sind heute nur noch zwei Verbrennungsstätten aktiv, an der einen hat man die Wahl sich traditionell auf Holz verbrennen zu lassen (4'000 Rupien = 65 Euro) oder im daneben erbauten Krematorium (500 Euro). Die Asche muss in jedem Fall in den heiligen Fluss, sonst bringt es nichts. Die grössere Verbrennungsstätte, ebenfalls noch mitten in der Stadt, die an dieser Stelle steil zum Fluss abfällt, hat ein Hospiz, dort kann man den Tod erwarten und sich anschliessend verbrennen lassen – wegen der höchsten Glückseligkeit. Hier ist alles schwarz, die umliegenden Häuser, der Boden, die verkohlten Reste der Holzscheite. Hunde wärmen sich an den verglühenden Feuerstellen, nachdem die Angehörigen des Verbrannten das Feld geräumt haben und die Asche in den Fluss gestreut wurde. Kühe laben sich an den Blumenkränzen, alles was übrig geblieben ist von den prachtvoll, in rotes und goldenes Tuch gewickelten Leichnamen!
Niemand erwartet uns am Ufer und wir machen uns allein zurück auf den Weg zum Taxi, verfolgt von Gurus und Bettlern, die hier besonders hartnäckig sind. Eine wohlgenährte junge Frau in buntem Sari, mit ihrem ebenso wohlgenährten Kind, bezeugt uns durch ständiges Führen ihrer Hand an den Mund, das sie unbedingt Nahrung braucht. Wir bleiben hartnäckig, denn man liest überall, dass diese Bettler in Touristenzentren das Vielfache eines Tagelöhners verdienen.
Im gebuchten Paket ist auch noch der Besuch des heiligen Tempels mitten im Gewirr der Altstadtgassen. Wir folgen im Eiltempo der fünften dienstbaren Seele dieses Morgens, drängen uns an Kühen, Hunden, Mopeds, Händlern und offenen Feuerstellen vorbei, an denen die Bewohner sich und ihre Hände wärmen, springen über frische und ältere Kuhfladen und anderen Müll. Die Zahl der Kaki tragenden, mit Karabinern Bewaffneten nimmt zu, je mehr wir uns dem Tempel nähern. Handy, Kamera, spitze Gegenstände, auch Kugelschreiber hatten wir bereits unserem Taxichauffeur anvertraut. Jetzt kommt die doppelte Personenkontrolle auf engstem Raum, dort wo man in die entscheidende Gasse einbiegt, einmal oben, einmal unten (der Zweite sitzt praktischerweise). Der Stehende entdeckt mein kleines Metallschächtelchen mit den Hustenbonbons, ich nehme es aus der Tasche, öffne es und schiebe mir ein Bonbon in den Mund – er grinst und ist zufrieden! Dieser Tempel wurde Ende des 17. Jh. von den Moslems zerstört, die an dieser Stelle eine Moschee errichteten. Im 18. Jh. wurde er mit Spenden verschiedener Maharajas wieder aufgebaut und mit einer goldenen Kuppel versehen. Ein Lob den Hindus, sie haben die Moschee stehen gelassen!
Offensichtlich ist die Angst vor Terroristen heute ebenfalls gross. Wir dürfen nicht in den Tempel und müssen auf die Stufen des Hauses auf der gegenüberliegenden Gassenseite steigen, um die goldene Kuppel überhaupt sehen zu können.
Zufällig gehört dieses Haus einem Onkel unseres Guides, der uns natürlich gern Fotos aus dem Inneren des Tempels zeigt. Das Heiligtum besteht aus einem riesigen Phallus, einem Amboss gleich, der in einer noch grösseren Scheide steckt. Ebenfalls ganz zufällig verkauft der Onkel auch Bildbände, Postkarten, hausgemachte Parfüms und diverse Currymischungen in verschieden grossen Behältern – dem kleinsten konnte Hanne dann doch nicht widerstehen. Man muss ja auch mal was kaufen!
Zurück im Hotel, es war erst halb neun, gaben wir uns dem üppigen, weltweit gleichen, anglo-amerikanisch-europäischen Frühstücksbuffet hin und versuchten unsere Eindrücke zu sortieren. Glücklich waren wir nicht, sondern eher angespannt, zweifelnd: Was machen wir eigentlich hier? Aus unserem Wohlstand heraus mal eben in eine andere Welt fliegen und unseren Voyeurismus befriedigen? Schauen, wie es den anderen geht – wie die so leben?
Hanne sagte mir erst vier Wochen später, sie hätte damals beim Frühstück fast angefangen zu heulen.
Da ich niemanden mit endlosen Beschreibungen der Reiseroute und den Sehenswürdigkeiten langweilen möchte, bleibt …
… nur noch das:
Beindruckend sind die Grabmäler: Taj Mahal, etc. – wir bestaunen die Steinintarsien mit Edel- und Halbedelsteinen im weissen Marmor und die Verschwendungssucht der Mogulkaiser.
Grossartig sind die Festungsanlagen dieser muslimischen Herrscher (1190 bis 1858) und auch die der Maharajas in Rajasthan. Auch diese Paläste sind wahre Kunstwerke des Bauhandwerks.
Noch unglaublicher sind die Tempelanlagen der Jain, einer dem Hinduismus verwandten Religion. Ranakpur, 4000 qm und 1440 Säulen! Die filigranen Darstellungen von Gottheiten und Tempeltänzerinnen, gemeisselt aus Marmor – Reliefs, 20-30 cm tief in den Stein gearbeitet. Die Künstler wurden nach dem Marmorstaub bezahlt, den sie produzierten!
Ebenfalls unglaublich empfanden wir einige der neueren Hindutempel. Hier fehlt es an handwerklicher Raffinesse, dafür strotzen sie vor Hässlichkeiten, erstrahlen für unsere Augen in grellen, wehtuenden Farben – „bunt“, wäre eine übertrieben nette Beschreibung. Und dann sind sie noch dreckig und ungepflegt.
Wir nähern uns einer Stadt mit einem berühmten Tempel, der eigentlich einem Feldherrn hoch zu Ross gewidmet ist. Irgendwann wurde er dann mal zum Heiligen erklärt, einer von den Millionen von Gottheiten! Die armen Inder pilgern dorthin in Massen, zu Fuss, schon kilometerweit vorher sieht man sie auf den Strassen. In der Stadt führen alle Wege zum Tempel durch die Gassen mit Hunderten von Buden, die alle das Gleiche verkaufen: bunte Süssigkeiten oder grellbunte, religiöse Symbole. In allen Grössen gibt es hier das Pferd des Feldherrn, aus Plastik, Styropor oder Pappe, ummantelt mit billigem Stoff in unwirklichen Farben, das man zum Tempel trägt und dort opfert. Ich äussere die Hoffnung, dass diese Artikel nicht allzu schnell zu Plastikmüll verkommen, man könne sie doch den Händlern wieder zurückverkaufen – so eine Art Recycling! Amit bestätigt meine gewagte Theorie!
Die Süssigkeiten werden gesegnet, ein Teil bleibt im Tempel für die Priester und Angestellten und für die Pilger, die nichts gekauft haben, wie unser Amit, der sich davon bedient. Wir nehmen Abstand und kosten nicht, zu deutlich haben wir die Heerscharen von Fliegen auf diesen, sicherlich delikaten, Artikeln in Erinnerung. Den Rest der gesegneten Speisen bringt man den zurückgebliebenen Angehörigen mit.
Die ganze Anlage stinkt nicht nur zum Himmel, sie ist auch total verdreckt – man mag gar nicht in die Ecken schauen. Der Gestank kommt u. a. von den Füssen, da man sich ja auch hier die Schuhe ausziehen muss – Leder ist ein Produkt von toten Tieren, und die sind, im Gegensatz zu den lebendigen, unrein! Wir sind unschuldig, tragen wir doch alle unsere Tempelsocken, die immer im Bus parat liegen und uns vor Dreck und Kälte schützen. Auf unsere Schuhe passt natürlich einer auf! Nachdem wir sie wieder angelegt haben, dürfen wir uns an einem Wasserschlauch die Hände abwaschen, weil ja … s. o.!
Geliebt haben wir das Essen. Jeden Abend Buffet in den Hotels, und mit wenigen Ausnahmen war es hervorragend!
Murgh Chicken Tikka und dann noch scharf, mit Knoblauch-Nan als Beilage, dazu ein Schälchen Dal (Linsen) – unübertroffen!
Einmal haben wir auch in einem kleinen muslimischen Restaurant in Mumbai gegessen – auch super, aber voll und ungemütlich, mit einer übertriebenen Klimaanlage und einem extrem unfreundlichen Oberkellner. Ich musste es ihm beim Herausgehen sagen! Wenigstens wissen wir jetzt, dass die überwiegende Mehrheit der Inder, auch in Restaurants mit den Fingern isst – das stand nämlich nicht im Reiseführer!
Mumbai (Bombay – engl.) ist berühmt wegen Bollywood, dem Taj Mahal Hotel, Opfer des Terrorismus, dem Gateway of India, der alten Kolonialstadt, dem Ocean Drive, usw. – alles anderenorts nachzulesen.
Unser Zimmer im Hotel, vier Sterne, Euro 160 pro DZ/Nacht, hatte vom zehnten Stockwerk einen Wahnsinnsblick übers Meer, auf den Plastikverschlag unseres Nachbarn auf dem Dach des Gebäudes nebenan, auf das Taj Mahal Hotel und den Slum der Fischer. Dazu war es noch klein, die Möbel waren abgestossen und der Teppich grau vor Dreck – dabei waren wir von Standard auf Deluxe upgegradet worden!
Der Weg in die Stadt führte entweder durch die Shoppingmeile (Spiessrutenlauf – No, thank you!) oder über die luxuriöse Meerpromenade und Flaniermeile zum Taj Mahal Hotel und zum Gateway of India, vorbei an den schlafenden Männern, die die Promenadenmauer offenriechlich auch als Urinal benutzen.
Jetzt habe ich wieder das Gefühl, zu negativ über Indien berichtet zu haben – und höre deshalb auf.
Tschüss!
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