Über uns

Mein Bild
Unvollständige, unsystematische, unübliche und nicht ganz vorurteilsfreie Reisebeobachtungen aus der Altersfreiheit!

Samstag, 24. April 2010

… schon mehrere Wochen auf Sizilien!


Deshalb sind wir nun nicht hierher gefahren: siebzehn Grad C. und Hamburger Nieselregen in Taormina! Nur um den Ätna zu sehen, haben wir in diesem Touristen-Luxus-Domizil zwei Tage Pause gemacht, zu überhöhten Hotel-, Cafe- und Restaurantpreisen! Vier Euro fünfzig für den Cappuccino, sechs Euro fünfzig fürs kleine Beck’s aus der Flasche, das ist so viel wie sie in Roma oder Milano nehmen – na ja, die liegen aber auch nicht direkt 200 m überm Meer, mit einem zweieinhalbtausend Jahre alten „Teatro Greco“ und con vista sul mare selbstverständlich!
Wir geben dem Ätna zwei Tage lang die Chance aus den Wolken zu treten, sonst verschwinden wir auf die liparischen Inseln. Dort scheint wenigstens die Sonne, wenn auch nur bei 16 Grad! ...

Es gab schon die eine oder andere Frage, ob wir denn diese Fülle von Eindrücken auch verarbeiten könnten. Nun, es braucht schon ein bisschen Übung, aber die haben wir ja! Vieles wiederholt sich (s. u.) und trotzdem wird’s sicherlich nicht langweilig! Es ist auch nicht immer schön, im Gegenteil (s. u.) – darum geht es uns auch nicht! Ein Land, seine Landschaften, die Menschen, ihre Sprache, Kultur, lassen sich nicht in ein paar Tagen einfangen, das muss man immer wieder erleben - bis es einbrennt! Dafür reichen vielleicht nicht einmal Monate, geschweige denn Wochen!

Nach weit über eintausendfünfhundert Kilometern auf der Insel sind wir manchmal immer noch arg genervt! Mehrere hundert von ihnen gehen auf Rechnung der  Ausschilderung in den Städten und um sie herum. „Da rechts geht’s nach Siracusa!“
Super, an der nächsten Verzweigung fehlen jegliche Schilder. Geradeaus, links, rechts – wer weiss? Die Einheimischen sicherlich! Irgendwann sieht man ein, dass es so nicht weitergeht – also zurück!  In Catania kommen wir, in dem verzweifelten Versuch im Einbahnstrassengewirr den Weg aus der Stadt in Richtung Norden zu finden, dreimal wieder an unserem Hotel vorbei! Weshalb sind wir hier nicht gleich rechts abgebogen?
Und dann noch diese Schlaglöcher! Ich weiss nicht, ob es der alte Karren bis nach Hause schafft. Obwohl, unser dreizehnjähriger Safrane ist der eigentliche Italiener, hier könnten wir wirklich als, in der Schweiz lebende, secondos gelten. Rund herum Kratzer und eine satte Beule auf der rechten Seite, so und schlimmer sehen hier alle „macchine“ aus!
Wir haben uns total angepasst. Zwar parken wir noch nicht in zweiter Reihe, fahren selten bei rot noch schnell durch, aber, Vorfahrt achte ich schon lange nicht mehr, ich überhole bei zwei durchgezogenen Linien, wenn der vor mir so langweilig dahin schleicht, halte mich an keine dieser blöden Geschwindigkeitsbegrenzungen und schaue zu, dass ich mich überall noch schnell dazwischen drängeln kann, man will ja auch nicht immer warten! Und, es bringt einen Riesenspass!
Die junge Frau in einem neuen, weissen Cinquecento schafft es gerade noch vor dem von ihr überholten LKW einzuscheren, bevor sie der ihr entgegenkommende LKW auf seine Hörner nehmen kann – schon das Zuschauen allein verursacht Gänsehaut! Eine solche Fahrweise lässt auf eine tiefe Religiosität schliessen – ohne den Glauben an eine baldige Wiedergeburt macht sie einfach keinen Sinn.
Hanne fährt nur auf grossen Strassen ausserhalb der Ortschaften und auf Autobahnen! Dafür muss sie in den Hotels fragen, ob es noch una camera doppia per una notte, usw. gibt! Posso vedere la camera? Devo palare con mio marito! – oder so ähnlich! Das konnten (? Na ja!) wir damals in Südamerika auch. Dann hat man die Option, nicht wieder zu erscheinen und muss keine Verrenkungen machen, um zu erklären, weshalb man ihr zu kleines, schmuddeliges, dunkles, überteuertes Zimmer, mit den scheusslichen Zudecken und dem seltsamen Geruch selbst für eine Nacht nicht will!

Habt ihr sie auch schon gesehen, die stolze, übercoole Donna, stark geschminkt hinter der obligatorischen Sonnenbrille, das tiefe Décolleté über oft zu engen Tops und dem extrem kurzen Miniröckchen - darunter, wenn es kalt ist, noch die Leggins - ihre Stilettoabsätze klingen wie Pistolenschüsse in den altehrwürdigen Gassen, die Schlüssel des Lancias nebst der Handtasche locker von der Hand baumeln lassend, Zigarette in der anderen, gleichzeitig das Telefonio am Ohr, macht sie ihn, während des schon sehr lauten Gespräch mit einer collega, mit schneidender Stimme und genervtem Blick an: „Ääe?“ – zwischendurch zweimal schallend in den Hörer gelacht – und dann wieder böse: „Caffääe!“,
ihn, den bedauernswerten Trottel neben ihr, weil er offensichtlich wieder mal nicht weiss, was sie gerade will! Von wegen Macho – Macha!

Sizilienreisenden sei gesagt: Für Preisbewusste und Kulturinteressierte ist es besser, erst die Ostküste entlang zu fahren, dann den Süden und zum Schluss den Westen und Norden zu besuchen! Erster Stopp in Taormina, dann habt ihr den teuersten Ort schon einmal hinter euch! Dann kann es nur noch billiger werden! Statt vier Euro fünfzig haben wir anderswo auch schon 80 Cent pro Cappuccino bezahlt!

Und dann die Tempel und die griechisch-römischen Theater, die werden gen Westen auch immer besser und finden ihre Vollendung in Segesta!


Tempel und Theater sehen nicht alle gleich aus, nur fast. Und die Pracht ist eigentlich auch ein wenig enttäuschend, weil unecht!
Keine der dorischen Säulen stünde mehr aufrecht, hätte man nicht im letzten Jahrhundert kräftig Hand angelegt! Mal war es ein englischer capitano, mal die Zentralregierung oder irgendein anderer Sponsor – sie alle haben den Wiederaufbau finanziert! Ihnen sei Dank. Es ist schon faszinierend davor zu stehen – mir gefallen vor allem die riesigen Säulen aus den überdimensionalen Zylinderteilen, drei mal drei Meter, aus einem Stein gehauen, an denen die zweitausendsechshundert Jahre zart genagt haben!


Die Säulenhaufen sind auch nicht schlecht! Originalgetreu so von den Puniern nach der Zerstörung hinterlassen, also von den Karthagern aus Tunis, die die Römer auch Phönizier nannten – manchmal haben sie die Tempel und Städte auch umgebaut und selbst genutzt und die Römer und Araber nach ihnen auch noch – dann haben spätestens die Erdbeben die Trümmerfelder geschaffen, faszinierend.
In Cave di Cusa besichtigen wir einen Steinbruch, dort sieht man eindrücklich, wie die Säulenteile in einem Stück aus dem Steinbruch gehauen wurden. Es scheint als seien die griechischen Arbeiter nur mal eben zur Mittagspause verschwunden, es würde nicht verwundern, fände man noch Hammer und Meissel an den Arbeitsplätzen!

Denkste Puppe – ich bin enttäuscht! Nur zehn Kilometer von diesem Steinbruch entfernt, in Selinunte, sieht man es deutlich – bei weitem nicht alle Säulen sind aus einem Stück – die ältesten haben einen Kern aus Ziegeln! Als ich dann noch lese, dass alle dorischen Säulen weiss verputzt und zum Teil farbig angemalt waren, löscht es mich total ab. Heute sehen sie garantiert besser aus!

Gott sei Dank habe ich Hanne unlängst ein schlaues Buch über Baustile, weltweit, durch alle Jahrhunderte, geschenkt! Sie ist begeistert, fast alle Stätten, die wir hier besuchen, sind dort namentlich genannt und beschrieben. Sonst wüsste ich nicht, dass die Architekten, die nach dem grossen Erdbeben 1693, das fast den gesamten Südwesten Siziliens zerstört hatte, die Städte wieder in sizilianisch-spanischem Barock aufbauten, den Säulenkapitellen korinthische und ionische Elemente beifügten – das solltet ihr mal nachlesen!

Im Ernst, das ist der Barock, mit dem selbst ich bestens leben kann (in bayrischen Kirchen kommen mir regelmässig Zweifel!). Hier gehe ich nur selten enttäuscht aus einem „duomo“ wieder heraus. Drinnen wie draussen sind sie (meistens) einfach beeindruckend. Und wie viele wir schon gesehen haben! Anders als bei uns, hat hier jedes Dorf seinen „duomo“! In Catania, in der Via Crocifieri, finden wir sechs barocke Kirchenmonster auf nur sechshundert Metern Strasse.
Die Bevölkerung ist heute noch überwiegend arm – damals auch schon?


Also, der Ätna hat uns ein wenig an der Nase herum geführt, aber letztendlich nicht enttäuscht. Die Armen, die sich mit einem Blick von Taormina oder Catania auf diesen unglaublich mächtigen Vulkan begnügen, haben etwas verpasst, man muss schon einmal herum fahren, von hinten sieht er einfach besser aus! Diese wunderschöne Strasse, durch eine faszinierende Landschaft, vorbei an den riesigen Lavasteinmassen, die bis in die Orte hinein flossen, wie überdimensionale dickflüssige Tränenspuren liegen sie an den Hängen und aus ihren Spalten treiben Blumen in schönstem Gelb und Rot – diese wunderschöne Strasse und die Landschaft rund herum sind nur leider total vermüllt!


Was treibt Menschen, inmitten dieser Lavalandschaft ihren Müll abzuladen? Um einen besseren Blick auf den Vulkan zu haben, folgen wir einer kleinen Strasse bis an die Trasse der einspurigen Ätnabahn. Dort liegen Autoteile, alte Fernseher, etc. – aber auch zahllose Hausmüllsäcke. Zuerst glauben wir, an einer Mülldeponie gelandet zu sein und schütteln nur den Kopf. Wieder an der Hauptstrasse setzt sich die Deponie jedoch fort. Die Fahrbahn ist gesäumt von Abfällen. Bushaltestellen und Parkplatzbuchten scheinen die beliebtesten Abladepunkte zu sein. Hier ist es immer windig. Die Plastiksäcke werden wahrscheinlich von Hunden aufgerissen und halten ohnehin nicht ewig. Das Ergebnis ist Müll überall, in Zäunen und auf Bäumen, auf den Lavasteinen – überall!
Alle Mauern und Schilder sind darüber hinaus mit Aufklebern der Polizia Municipale versehen, Müll deponieren wird mit fünfhundert bis tausend Euro Geldstrafe geahndet – entweder ist das nicht genug oder die Sünder gehen das Risiko bewusst ein, vielleicht gibt es ja keine geregelte Müllabfuhr, wer weiss!
Uns vergeht die Lust hier nach einem Hotel für die Nacht zu suchen, wir fahren wieder an die Küste.   
Viel schöner ist es auf der Piazza, auch in dem kleinsten Ort versammeln sich dort schon morgens die alten Männer. In Gruppen stehen sie zusammen oder sitzen zu dritt auf einer Parkbank. Sie sehen irgendwie alle gleich aus, meist klein und immer dunkel gekleidet, nur selten trägt einer einen Farbtupfer in Form eines Fussballschals oder eines gewagten Pullovers. Es ist laut auf einer solchen Piazza, der Diskussionsstoff scheint ihnen nie auszugehen, man fällt sich ständig gegenseitig ins Wort, lauter natürlich, um dem Gesagten Gehör zu verschaffen, oft reden mehrere gleichzeitig.  Mimik und Gestik machten jeder Theaterbühne Ehre! Schade, dass wir so gut wie nichts verstehen. Manchmal glauben wir ein bekanntes Wort zu hören und erliegen damit  der Illusion, wenigsten das Thema zu kennen.
Italien pensioniert ihre Alten schon mit fünfundfünfzig, zu Hause ist es eng und da sind die Töchter, die Enkelkinder, Mama, Nonna und die Nachbarinnen, die reden mindestens eben so laut und dann läuft da noch ständig der Fernseher mit den vielen Berlusconi-Kanälen, die ganztägig Shows mit rassigen Weibern und irgendwelchen wichtigen Leuten ausstrahlen, die sich im Gespräch auch ständig unterbrechen, der Interviewer ist der eigentliche Star – das hält man ja auch nicht aus!

Zwei Tage lang liegen wir am Strand von Giardina Naxos, unterhalb von Taormina, hier ist es billiger und wir geniessen die Sonne pur, die uns eine Woche lang verwehrt wurde! Hier gehen pausenlos fünf Chinesinnen auf und ab, alle drei Minuten kommt eine von ihnen an unsere Liegestühle und fragt, ob wir massiert werden wollen. Ein einmaliges: „No, grazie!“ schüttelt sie nicht ab, ohne mehrmalige Wiederholung und den bösen Blick lassen sie nicht locker. In drei Sprachen versuchen sie uns immer wieder einzureden, es müsse sein. Als sie dann noch Hand anlegen, platzt mir der Kragen. Danach kommen sie nur noch zu Hanne wenn ich nicht in der Nähe bin.
Anfangs glaubten wir an den typischen roten Laternen chinesische Restaurants zu erkennen. Die gibt’s natürlich auch, aber meistens sind es Textilgeschäfte. In Catania, an einem Platz, auf dem jeden Tag Markt ist, findet man gleich sechs nebeneinander, die scheinen gut etabliert zu sein.

Eine Stunde sitzen wir am Hafen in der Abendsonne und lassen uns ein kühles Bier schmecken. Gegenüber streicht ein junger Mann einen zwei Meter breiten Zaun. Der muss schon ein paar Tage damit beschäftigt sein, denn in der Stunde, in der wir ihn beobachten, schafft er kaum etwas. Entweder telefoniert er oder es kommt jemand vorbei, mit dem er erst einmal eine raucht oder er telefoniert schon wieder. Er scheint gut bekannt zu sein im Ort zu, fast jedem vorbeifahrenden Auto winkt er zu! Nur selten kommt Farbe an den Pinsel, noch seltener Farbe vom Pinsel an den Zaun. Die Produktivität im Süden Italiens soll, nicht nur laut der berüchtigten Lega, sehr viel niedriger sein, als die im Norden. Da könnte was dran sein!


Angesichts der schlechten Wettervorhersage für die liparischen Inseln verschieben wir den Besuch auf unbestimmte Zeit und setzen nach genau einem Monat wieder Fuss, bzw. Räder auf den Boden des Festlandes. Diesmal biegen wir rechts ab und fahren mit der Umrundung Kalabriens fort, wo wir vor viereinhalb Wochen aufgehört haben. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen