In einem unscheinbaren Ort, an dessen Namen wir uns gar nicht mehr erinnern können und der, wegen der noch herrschenden Vorsaison, wie ausgestorben ist, finden wir ein kleines Hotel, in dem wir für fünfzig Euro, inkl. Frühstück ein ansprechendes Zimmer nehmen. Das Abendessen in dem feinen Restaurant des Hotels wird zum Erlebnis. Hanne bestellt Zuppa di Pesce und labt sich anschliessend an der riesigen Fischplatte, mein Costata di Manzo entpuppt sich als überdimensionales T-Bone-Steak – wir sind im siebten Himmel!
… und dann Apulien! Luigis Heimatregion hat es uns sofort angetan! Alles ist so sauber, hell, ordentlich und gepflegt – das kann nicht nur an den weissgetünchten Häusern liegen. Gleich in der ersten Stadt hinter Taranto, in Grottaglie, berühmt für seine Töpfer, finden wir die Bar mit der freundlichsten Bedienung Süditaliens und der saubersten Toilette. Hanne haben es die endlosen Olivenhaine angetan, die mit den uralten, knorrigen Bäumen, manche mit einem Meter Durchmesser und mehr. Die Farbkontraste der rostigen Erde, zu den graubraunen Stämmen, den dunkelgrünen, silbrig glänzenden Kronen und dem strahlend blauen Himmel gehen unter die Haut – ein Paradies für Impressionisten.
In Oria soll heute noch der neue Priester Monsignore Soundso in sein Amt eingeführt werden. Sein Bild strahlt von einem Plakat, das den darauf folgenden „Sonntag der Familie“ unter seiner Obhut ankündigt. Die Piazza vor der kleinen Kirche wird von professionellen Organisatoren hergerichtet. Damit die Bevölkerung des Ortes, der gesamten Umgegend, die Touristen und auch die Verwandten des Geweihten an der Inauguration teilhaben können, findet die Veranstaltung unter freiem Himmel, in strahlende Sonne statt. Die Bühne mit Altar und Heiligenstandbildern steht schon, jetzt kommen die Blumensträusse, die Rednerpulte werden mit wertvollem kirchlichem Tuch behängt, es wimmelt von Priestern, Kirchenoberen mit glanzvollen Kostümen, Stadtbediensteten mit protzigen Schärpen um Hals und Schulter und allen Arten der italienischen Polizeigewalten in ihren besten Uniformen, alle tragen das Ihrige zum Gelingen bei, die Masse wächst von Minute zu Minute, die Organisatoren entladen Laster mit Plastikstühlen, das Volk reisst sie ihnen aus den Händen. Nur auf Grund meiner Grösse und Körpergewalt gelingt es mir, zwei Stühle zu ergattern. Wir stellen sie hinter den anderen Stuhlreihen auf. Nichts soll uns entgehen! Bald sitzen wir in der zwanzigsten Reihe von hinten. Über den roten Teppich strömen immer mehr Schaulustige nach vorn, verzweifelt, keinen Platz mehr ergattert zu haben. Wir sitzen eine geschlagene Stunde auf den Dingern, die Masse wächst noch immer – eigentlich hätte die Show schon vor neunzig Minuten beginnen sollen.
Jetzt kommt ein Moped bis an den roten Teppich heran gefahren, ein Mann, bewaffnet mit einer Zange, steigt ab und stürmt nach vorn – die Elektrik für die Lautsprecher funktioniert nicht. Chor und Orchester geben eine technische Probe, der eine Priester mit dem besonders feierlichen Gewand fängt schon einmal an, etwas Bedeutendes zu sagen. Plötzlich verstummen alle und blicken zurück. Ein Auto fährt bis an den roten Teppich. Es ist die Mutter des Stars, zwei Männer stützen sie auf dem Weg zu ihrem Ehrenplatz, das Volk klatscht. Der Monsignore selbst lässt auf sich warten, wahrscheinlich streckt er im Stau. Nach zwei Stunden und immer noch keinem Monsignore, verlassen wir die Piazza, es ist gleich achtzehn Uhr und wir haben noch kein Hotel!
Es langweilt, wenn ich jetzt noch berichte, dass ich das Blinken im italienischen Strassenverkehr auch für völlig überflüssig erachte. Schliesslich kann man nicht ständig signalisieren, wenn man Schlaglöchern ausweicht oder den sich plötzlich öffnenden Fahrzeugtüren oder dem in letzter Sekunde vor einem Parkenden, der sein Hinterteil einfach in die Strasse hineinragen lässt. Das geschieht zwangsläufig so plötzlich, dass die Elektronik gar nicht angemessen reagieren könnte.
In Salice Salento, diesem berühmten Ort, dessen Rotwein wir so sehr schätzen, gibt es kaum einen Quadratmeter Fahrbahn ohne Loch. Offensichtlich reichen die Steuerabgaben der Kooperative nicht aus, die Strassen instand zu halten. Wir hatten geglaubt, dort ein wenig Wein degustieren zu können. Das Gebäude sah jedoch so wenig einladend aus, dass wir vernünftig blieben und uns in geübter Slalomfahrt von dannen machten.
Wer so viel herumfährt, muss sich zwischendurch mal ein paar Tage Urlaub gönnen. Porto Cesario an der Südwestküste eignet sich vorzüglich. Eine Stunde nach der nicht erfolgten Degustation sitzen wir direkt am Meer, die Füsse fast im Wasser, schlürfen den lokalen Weissen und sezieren einen riesigen, lecker gebratenen Fisch.
Das Hotel über der kleinen Bar direkt am Hafen, dort wo die Fischkutter festmachen, bietet uns das bisher grösste Hotelzimmer mit zwei Balkonen und traumhaftem Blick. Die Bar erscheint uns eher verschlafen, nur selten sehen wir jemanden drinnen stehen oder draussen sitzen. Nachts ändert sich das allerdings! Dies ist der Treffpunkt der Fischer! Wann immer wir nachts aufwachen, vernehmen wir reges Stimmengewirr, Lachen und angeregte Diskussionen, die, allgemein bekannt, in Italien eher wie ein handfester Streit klingen. Gegen zwei Uhr nachts gesellen sich noch die Fischgrosshändler aus ganz Italien dazu, wir erkennen Sie an den Kühllieferwagen, die rund um unser Hotel parken.
Das geht bis morgens! Wir bleiben trotzdem drei Nächte, um halb zehn, wenn wir frühstücken, sitzen am Nebentisch immer die gleichen jüngeren Damen und kurz darauf kommen die vier Schweizer, man kennt sich schon!
Italia! Mir Dummkopf war es nur bisher nicht aufgefallen! Italiano, das ist die Sprache der Vokale. Wir mussten erst nach Locorotondo kommen, der Stadt mit den fünf „o“! Seither sammle ich Wörter mit überwiegend Vokalen, wie „uomo“ oder „artigianato“ und auch die mit immer nur ein und demselben Vokal, z.B. der Dessousladen „Intimissimi“ – grossartig und manchmal unaussprechlich!
Die preiswerteste Übernachtung unserer Reise – 47 Euro! Nicht schön, aber sauber und ruhig nach hinten raus. Das Restaurant ist natürlich ebenfalls gross, nicht schön und um acht Uhr noch leer! Wir gehen vergebens die Strasse rauf und runter – kein Restaurant. Also doch im Hotel essen. Ein zweiter Tisch ist besetzt. Wir trauen dem Frieden nicht, sind aber mutig und entscheiden uns, neben dem Salat mit schwarzen Trüffeln, nur für je eine Pizza. Der Salat ist grossartig, die Pizza auch. Plötzlich füllt sich das Restaurant, um neun ist jeder Platz belegt und die Leute stehen Schlange. Keine Hotelgäste, nein, Einheimische, man kennt sich, um uns herum lautes Lachen und italienisch angeregte Unterhaltungen, Kinder rennen zwischen den Tischen herum – wir sitzen offensichtlich in dem Restaurant und bereuen nicht eine der anderen tollen Sachen bestellt zu haben!
Müssen wir Angst haben in Neapel? Ums Leben? Hab und Gut? Und wer hilft uns dann: Polizia Municipale, Polizia Locale, Carabinieri, Polizia di Stato, Guardia di Finanzia, Polizia Stradale, Polizia Penitenziale oder einer der unzähligen, privaten Sicherheitsdienste, die man überall in den Städten sieht und deren Uniformen und Fahrzeuge, denen der Polizeistreitkräfte zum Verwechseln ähnlich sind? Uns passiert nichts! Selbst unser Auto, das wir am Morgen nach der ersten Nacht vor dem Hotel umgeben von Marktständen wiederfinden, ist unversehrt. Die potenziellen Kunden des PornoCDhändlers, Stück ein Euro, die guten zwei, wischen kostenlos den angesammelten Schmutz von seinen geschundenen Seiten.
Neapel erstickt im Verkehr, die Strassen sind deshalb und wegen der Schlaglöcher kaum befahrbar und das Müllproblem ist auch hier, trotz Berlusconis grossen Versprechungen, nicht gelöst. Die paar schönen Seiten der Stadt schafft man locker an einem Tag! Wir nehmen uns zwei, auch deshalb, weil wir zweimal, wie üblich am frühen Nachmittag, von vierzehn bis sechzehn Uhr, in strahlendem Sonnenschein, am Hafen, mit Blick auf den Vesuv, so leckere Dinge, wie Linguine all’Aragosta (mit einem halben Hummer) essen müssen! Wunderbare neapolitanische Nachmittage, die uns so richtig einstimmen auf die bevorstehende Winterwoche in Hamburg.
Man muss schon Glück haben, will man im Dom San Gennaro dessen Blut fliessen sehen! Nur drei Mal im Jahr verflüssigt sich das Blut des Heiligen in den zwei kleinen kristallenen Phiolen. Dann stehen die Gläubigen Schlange, ein Priester hält das, einer überdimensionalen Eieruhr ähnelnde Gefäss an einem Griff aus Messing, schwenkt es unmittelbar vor den erstaunten Augen der Ergriffenen hin und her, damit man genau sieht, das Blut ist flüssig! Dann dürfen die vor Ehrfurcht Erstarrten das Glasgehäuse küssen und der Nächste ist dran! Bevor er oder sie wieder küssen darf, wischt ein umsichtiger, extra für diese Dienstleistung bereitgestellter Helfer die vorher beküsste Glasfläche mit einem Tuch rein! Wie stark muss der Glaube sein für diese unglaubliche Prozedur? Und was soll das? Aber, wir ungläubigen Verständnislosen haben es mit eigenen Augen gesehen.
Am frühen Morgen geht unser Flugzeug nach Hamburg. Zum zweiten Mal heiratet eine unserer Töchter einen „Fähnders“, erst Meike den Malte und jetzt Steffi den Till. Auf der Suche nach einem Platz für unser Auto am Flughafen Neapel finden wir, unmittelbar neben den anderen, offiziellen Parkplätzen ein umzäuntes Gelände, das nur einfach so mit einem P gekennzeichnet ist. Das Tor ist offen und es hat noch freie Plätze! Wir parken neben einem Italiener und fragen, ob man das denn hier darf! „ No problema!“ sagt er! Dann sehen wir die kleinen Schilder mit „1 ora“! Darunter das Symbol einer Parkscheibe und das andere, mit dem Abschleppfahrzeug und dem PKW im Schlepptau! Aber, beide Symbole sind auf allen Schildern weggekratzt! In unmittelbarer Nähe zu unserem Auto, stehen zwei schon mindestens mehrere Wochen lang, zu erkennen an der dicken Schmutzschicht! Sicherheitshalber fragen wir noch einen Parkierenden (CH) und der gibt uns, diesmal auf Englisch die gleiche Antwort: „No problem!“!
Nach der erfreulichen Woche in Hamburg wieder etwas Erfreuliches, unser Auto steht, wieder unversehrt, immer noch am selben Ort, nur die Staubschicht ist etwas dicker und beide Töchter heissen jetzt Fähnders!
Ischia haben wir uns, weiss Gott, schöner vorgestellt, wo doch unsere Angela hier immer Urlaub macht – obwohl, das wussten wir anfangs noch nicht!
Jedes freie Plätzchen Erde ist bebaut und nicht immer schön! Forio ist laut Reiseführer eine kleine, italienische Bilderbuchstadt! Klein! Der Ort fängt in dem vorherigen schon an und hört überhaupt nicht wieder auf! Viersternehotels, ihrer Sterne oft nicht würdig, reihen sich nur so aneinander, kleben am Hang, gehen verschachtelt ineinander über! Zwischen den Gebäuden drängeln sich auf Betonterrassen mit einem, maximal zwei Metern Meersicht, die winzigen Swimmingpools, eng umlagert von Liegestühlen. Alles in deutscher Hand, Italiener haben hier keine Chance. Na, wenigstens nicht so schlimm wie in Malle, wo es an jeder Ecke Thüringer Bratwurst gibt.
Als wir aus dem Dreisternehotel in San Angelo (wir hätten es ja ahnen können) auschecken, sehen wir ihr Bild mit Widmung an der Wand! Nein, sie wohnt natürlich nobler, aber, jeden Tag, nach dem Besuch der Therme kommt sie ins Hotel Conte, trinkt einen Cappuccino und isst manchmal auch dort – unsere Angela! Jedes Jahr, für zwei Wochen über Ostern – nur dies Jahr nicht, wahrscheinlich wegen der Krise! Wir schätzen das „Conte“ auch, dort gibt es den schmackhaftesten Fisch Italiens, bzw. unserer Reise, und der hat seinen Preis und die durchhängendsten Betten!
Ischia Stadt, Schickeria pur, nur Deutsche und unzählige Schickimickiläden, gefällt mir am Besten! Hier ist es so schön deutsch sauber und aufgeräumt und dann die Sanitärbereiche, super. Nach zwei Stunden Bummel durch den Ort fängt es an zu regnen. Den daraus erwachsenen spektakulären Sturm geniessen wir aus unserem überteuerten Hotelzimmer mit totalem Meerblick blickend. Die Fährschiffe - morgen sind wir auch auf so einem – tanzen wie Spielzeugboote auf den Wellen. Bei dem Wetter würden wir nicht einmal einen Hund ins hoteleigene Thermalbecken schubsen, geschweige denn selbst hineinspringen.
Morgen geht es nach Marina della Lobra, kurz hinter Sorrent (siehe Bericht 1). Dort wollen wir die letzten vierzehn Tage in Italien richtig geniessen, endlich mal Urlaub machen, uns erholen von der anstrengenden Reise.
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