Die Idee ist alt! Schon seit Jahren planen wir die Fahrradtour durch Mecklenburg Vorpommern – durch die Seenplatte und dann zurück an der Ostsee, von Usedom über Lübeck nach Hamburg – und endlich, nach drei erfolglosen Anläufen in den vergangenen Jahren, haben wir es genauso gemacht!
Erst einmal per Auto, die Fahrräder auf dem Dach, bis Malchow, inmitten der Seenplatte. Sobald man die Autobahn verlässt, sieht es hier und da immer noch aus wie DDR, isses ja nich mehr, aber doch noch ziemlich DDR-mässig! Das ist bei Weitem nicht nur negativ, sondern (fast nur) positiv gemeint!
Malchow ist schon ganz schön westlich rausgeputzt – in der Mitte nämlich, dort wo die alte Drehbrücke den Durchgangsverkehr aufhält, so alle Stunden, wenn eines der grossen Schiffe passieren will. Das Hotel direkt am See, mit wunderbarem Blick, weiss auch genau was der wert ist! Wir übernachten dahinter, preislich moderat.
Von Malchow aus bietet es sich an Rundfahrten zu machen. Hanne, Meike und ich treten erst einmal ohne Gepäckbelastung in die Pedalen – so als Einstieg. Die Idee zahlt sich schon am ersten Tag aus. Die Strecke zur Umrundung des Plauer Sees wird in der Broschüre stolz als naturbelassen gelobt, jetzt wissen wir was das heisst: Die Hälfte der 60 km führt super natürlich und romantisch direkt am See entlang, keine zwei Meter vom Ufer entfernt – manchmal ist es nass und matschig, selten bis nie asphaltiert, meist eng und holperig, über Wurzeln und Steine, hoch und runter, oft vereinen sich diese Merkmale wie wundervoll auf einem einzigen Streckenabschnitt! Will man nicht auf der verkehrsreichen Landstrasse fahren, muss man in den Wald ausweichen. Mühsam kämpfen wir uns durch weiche, teils sandige Spazierwege.
Genug gemeckert, es ist wunderschön, unglaublich diese Seen – und es ist gar nicht überlaufen, trotz Hauptsaison. Überall kann man mal schnell ins Wasser springen – schliesslich kühlt der Fahrtwind bei 29 C nicht so effektiv.
LPG-Riesenkornfelder, grossartig, mit nur einem Baum in der Mitte, fliegen an uns vorbei. Wir durchqueren einsame Waldstücke, kommen an kleinen Schlössern, grossen Gütern und alten Kirchen vorbei – (letztere häufig völlig unreligiös genutzt).
Nach drei Tagen Seenplatte fährt Meike mit dem Auto nach Hamburg zurück, und Hanne und ich beladen unsere Satteltaschen. Wir, Mensch und Gefährt, sind jetzt je ca. 8 kg schwerer und radeln gen Osten, quer durchs Land, Richtung Usedom, wo uns Frohnes in einem Luxus-Golf-Hotel erwarten. Jetzt wird es abenteuerlich: Zwar zeigt uns die Fahrrad- und Wanderkarte mannigfaltige Strecken, aber so richtig fahrradfahrerfreundlich sind die nicht! Man merkt genau wo der Strassenaufbau Ost stattgefunden hat, bzw. die entsprechenden Finanzmittel geflossen sind – nicht überall ist das auf die Fahrradwege durchgeschlagen. Wo Geld fehlte, hören diese plötzlich und ohne Vorwarnung auf und man muss die stark befahrene Piste mit den LKW teilen. Also gut, dann nehmen wir halt die nächste kleine Strasse nach rechts! Gute Idee!
Seid ihr schon mal auf Kopfsteinpflasterstrassen des 17., 18. oder 19. Jahrhunderts gefahren? Damals hat sich auf dem Land noch keiner die Mühe gemacht, die Steine nach Grösse zu sortieren, Hauptsache sie hielten – und die halten bis heute. Das ist schon anstrengend für gut gepolsterte Autos, wenn nicht sogar gefährlich. Mehr noch für Touringräder mit herkömmlichen dünnen Reifen und ohne Federung – Ehrensache, so alt sind wir ja wieder auch noch nicht! Zum ersten Mal wünsche ich mir die grossen Ballonreifen, mit denen mein Freund Udo schon vor Jahren mit mir durch Dänemark fuhr.
Diese alten Strassen zwischen den kleinen Dörfern, fernab jeglicher Zivilisation in Form von Bäckereien, Cafés, Restaurants oder nur Einkaufsmöglichkeiten machen müde, durstig und hungrig! Manchmal kann man dem Kopfsteinpflaster ausweichen und am Rand fahren, falls der Sandboden dort noch hart ist, wenn nicht, weiss man weshalb die gepflastert haben, damals!
Grossartig ist auch die real-sozialische Errungenschaft der Betonplatte, nein, nicht nur für den Platten-, sondern für den Strassenbau! Die Natur wird gemeinhin unterschätzt, sie ist stärker als moderne sozialistische und bestimmt auch kapitalistische Bautechnik und hebt mühelos tonnenschwere Platten. Die Stösse von unten kommen immer doppelt, über beide Räder, alle zwei Meter wieder!
Da lob ich mir den Ostseefernradwanderweg (so heisst der wirklich), der bringt belagsmässig enorme Vorteile. Dieser weg führt nur einmal 12 km lang über eine alte DDR Chaussee/Allee, mit gleichmässig hohem (gibt’s auch!) Kopfsteinpflaster. Wenn man schnell genug fahren kann, tut’s weniger weh!
Manchmal fehlt es allerdings auch auf dieser internationalen Strecke an Radwanderweggestaltungserfahrung. Wer käme sonst auf die Idee, Löcher in Waldfahrradwegen mit Ostseesand aufzufüllen, sicherlich kein Tourenradler, es sei denn, er fährt mit besagten Ballonreifen.
Dort wo alles schön asphaltiert ist und das ist auf dem Ostseefernradwanderweg überwiegend der Fall, kann es natürlich auch mal voll werden. Vor allem auf den Deichen, in der Nähe der super mondänen Ostseebäder, tummeln sich nicht nur Spaziergänger, da biegen Strandläufer von selbigem kommend, ohne nach rechts oder links zu schauen, auf den OSFRWW, Jogger überholen breit gefächerte Familien mit hölzernen Bollerwagen, Inlineskater glauben schneller zu sein als Fahrradfahrer und Nordic Walker allen Alters treten vorwiegend in Horden auf! Der so auch entgegen kommende Verkehr schneidet vorzugsweise nicht einsichtige Kurven in Formel-Eins-Manier. Selten sieht man Leute mit dem Handy telefonieren, dafür unterhalten sie sich, nach vorn fahrend oft und gern zur Seite oder schräg nach hinten. Jürgen Tippe hätte seine helle Freude! Es muss dort öfter Unfälle geben – wir bleiben aber verschont. Die Leute, überwiegend Dortige, nehmen es mit ihrer wohltuenden ostzonalen (faux pas – aber eine kleine Erinnerung an meine Mutter!) Gelassenheit – na und?!
Und wir geniessen die auch, diese Gelassenheit! Klar, wir haben Urlaub, die Sonne scheint, Meer und Landschaft sind wunderschön, wir sind kaputt von durchschnittlich 47.356 km im Sattel, essen und trinken gut – nichts kann uns etwas anhaben. Aber es ist nicht nur das. Die Ossies (faux pas – schon wieder!) haben was: diese offene, unverblümte Freundlichkeit, der herbe, schelmisch freche Humor, diese unvergleichlichen Dialekte. Kleidung verrät häufig die 20 und mehrjährige Vergangenheit, Mode mit sehr viel Farbe (grell), gewagte abenteuerliche Kombinationen: uralte (>20 Jahre) Windjacke mit buntem, gewagten Halstuch! Wir wertschätzen unter anderem den ungezwungenen Umgang mit der Nacktheit – nicht nur am FKK-Strand ziehen sie sich ohne Verrenkungen, nämlich ohne schützendes Handtuch aus und um! Die Dienstleister McPoms zeigen eine fast sorglose Unbekümmertheit im Umgang mit ihren Gästen – sollte man sich mal überflüssigerweise aufregen müssen, wird Kritik meist problemlos akzeptiert, allerdings auch ohne Entschuldigung! Wen stört’s, wenn in charmanter Inkompetenz das Hefeweizen in der 0.5 l Flasche und mit einem 0.3 l Glas serviert wird, da ist man doch schon froh, dass man selbst einschenken darf, damit, nach entsprechend geschickter Handhabung, wenigstens noch ein bisschen Hefe auch ins erste Glas gelangen kann! Also, wir mögen die …
… und das, was es zu essen gibt: Fischbrötchen z. B. in allen Variationen – mich machen die mit Räucheraal besonders schwach. In Neubrandenburg sitzen wir abends noch in der Sonne, das Restaurant des noblen aber preisgünstigen Viersterneketten-Waschbetonplattenbauhotels hat Stühle und Tische auf den schlicht-hässlichen Stadtplatz gestellt und der erstrahlt baulich noch in altem sozialistischem Glanz. Ich finde Aussergewöhnliches auf der Speisekarte: Bauchspeck in Honig-Whisky-Sosse mit Apfel-Kartoffeln – lecker!!! – nicht teuer und immer gibt es riesige Portionen.
Begeistert sind wir von den alten Stadtzentren mit ihrer grossartigen oft filigranen Backsteingotik. So mächtige Kirchen und Tore kennen wir nur aus Lübeck, hier sind sie überall. Wunderschön restaurierte historische Altbauten stehen neben zerfallenen Villen des frühen 20. Jahrhunderts – nicht für alle reicht das Geld!
Immer wieder fahren wir an den rausgeputzten Plattenbausiedlungen vorbei – so schlecht sehen die (heute) doch gar nicht aus! Ganz selten steht noch ein aufgemotzter Trabbi vor der Tür. Aber es gibt auch noch die alten, nicht renovierten Plattenbunker, einige Wohnungen sind noch bewohnt, andere haben eingeschlagene Fensterscheiben.
Zingst gefällt uns nicht, zu voll, zu schön wieder aufgebaut und in Kühlungsborn stören uns die nagelneuen, mondäne Protzbauten direkt am Meer, wie auf Malle, scheusslich bombastisch! Heiligendamm wirkt wie ein noch nicht fertiges Museumsdorf – auch hier wird es prächtig werden – mindestens fünf Sterne plus. Wir bleiben ein paar Tage in Wustrow, und hier ist unsere Welt noch in Ordnung. Das einzige Luxushotel hat nur zwei Stockwerke, ist also kaum zu sehen und der Bauhöhe der übrigen, meist alten, renovierten Häuser angepasst. Der kleine Ortskern entlang der Landstrasse ist unspektakulär, eine grössere Allee mit ein paar Geschäften, Restaurants und Buden führt bis zum Strand. Von dort geht eine Treppe auf den Deich, rechts und links nur zwei Restaurants, von deren Terrassen man die unglaublichsten Sonnenuntergänge beobachten kann.
Hier sitzen wir jeden Abend und essen ausgezeichnet. Ein paar Schritte kann man sich dem allabendlichen kitschigen Spektakel noch auf der Seebrücke nähern – allerdings nicht allein! Der Blick zurück auf den Strand, den Deich und die beiden Restaurants lassen den Ort dahinter nur erahnen. Keine Schandbauten, fast Natur pur!
Hier sitzen wir jeden Abend und essen ausgezeichnet. Ein paar Schritte kann man sich dem allabendlichen kitschigen Spektakel noch auf der Seebrücke nähern – allerdings nicht allein! Der Blick zurück auf den Strand, den Deich und die beiden Restaurants lassen den Ort dahinter nur erahnen. Keine Schandbauten, fast Natur pur!
In Wustrow kann man’s aushalten. Wenn, dann dort – wir kommen wieder! Boltenhagen gefällt uns auch, allerdings vermissen wir den Blick aufs Meer, den kann man dort (leider?) nur vom Strand aus geniessen!
… und zum Schluss noch dies:
Our Swiss friends und die ostdeutschen Freunde mögen uns verzeihen, aber wie ist das mit den Artikeln im deutschen Sprachgebrauch?
Wir, als langjährige Auslandsdeutsche sind verwirrt!
Für uns „tönt“ das schweizerische Fussballenglisch: Penalty, Final, Goal und Goalie – merkwürdig, noch dazu, weil alle diese Nomen den männlichen Artikel „der“ tragen, wie bei: der Match! Im Französischen ist es aber z. B. „la final“!
„Die Foti“ (Helvetikum) lassen wir gelten, es handelt sich schliesslich um die Fotografie!
In Neubrandenburg heisst es „der Dessert“ – etwa, weil französisch: le dessert? … oder doch abgeleitet von: „der Nachtisch“?
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