Am Morgen des 8. Oktober war es klar, die China weite Urlaubswoche war vorüber! Unser Zimmer im YoYo-Hotel, gleich bei Steffi und Till um die Ecke, war bis dahin wunderbar ruhig gewesen, Tag und Nacht. Jetzt dröhnt Punkt acht Uhr morgens „Jingle Bells“ auf Englisch, gesungen von chinesischen Kindern, aus dem unterdimensionierten plärrigen Lautsprecher, und die kleinen Chinesen strömen in Begleitung ihrer Eltern durch das Tor des Kindergartens. Steffi meint, es koste bestimmt 10.000 Yuan mehr pro Jahr - für die englische Spracherziehung!
Eltern und Kindern wird die Temperaturpistole, die wir schon vom Hinflug kennen, vor die Stirn gehalten – man nimmt es sehr Ernst mit der Schweinegrippe nach den negativen Erfahrungen mit der Vogelversion. Steffi muss in der Universität täglich ihre Körpertemperatur angeben – alle sagen, ohne gemessen zu haben, 36°C, was aber niemanden zu verwundern scheint...
In der Schule gegenüber stehen alle Schüler stramm zum Morgenappell! Dann ertönen die Anweisungen über Lautsprecher, gebrüllt von einer Lehrerin. Die Masse der 20 x 30 Schüler in Reih und Glied bewegen sich im Gleichschritt, nach vorn, Wende, zurück, Vierteldrehung nach rechts, drei Schritt nach rechts, Wende, nach links und so weiter!
Steffi büffelt jetzt schon wieder im 2. Semester Chinesisch, spricht, schreibt und liest, als hätte sie nie etwas anderes gemacht! Die Eltern sind natürlich mächtig stolz – sie kennt ca. 2.500 der 50.000 Zeichen (20.000 werden normalerweise nicht genutzt). Mit 4.000 Zeichen kann man schon gut Zeitung lesen! Damit wir nicht auf dem Schlauch stehen, wenn der Taxifahrer nicht verstehen will wohin wir wollen, schreibt sie uns kleine Karten, die uns kreuz und quer durch Peking helfen!
Unsere Kinder wohnen im San Li Tun, einem noblen Diplomatenviertel, um sie herum die französische, italienische, ungarische Botschaft und die von Simbabwe. Im europäischen Supermarkt hinter der deutschen Botschaft gibt es richtige Brötchen und alles was das Herz begehrt, wenn man länger in China lebt!
Ihre Wohnung ist riesengross und super eingerichtet, wir sind begeistert, so würden wir auch gern mal wohnen! Vor dem Wohnblock sitzen Tag und Nacht Sicherheitskräfte, die nicht jeden ohne Kontrolle hinein lassen – uns schon, weil wir eben so europäisch vertrauenserweckend aussehen!
Die Wohnung liegt im 5. Stock, also eigentlich im 4., weil Parterre der 1. ist!
Unser Zimmer im Hotel liegt im 3. Stock, also eigentlich im 2. – wenn wir im 5. wohnen würden, wäre es aber trotzdem nur der 3., nicht wie bei Steffi der 4.,
weil den 4. gibt es in unserem Hotel nicht. Die 4 bringt Unglück – bei den Diplomaten und anderen Ausländern spielt das keine Rolle!
Beijing ist eine Stadt mit riesigen Ausmassen und dennoch klein im Vergleich zu Shanghai, nur ca. 15 Millionen Einwohner. Uns erscheint sie übersichtlich, die Strassen verlaufen alle rechtwinklig zueinander! Im Zentrum, um den Platz des Himmlischen Friedens, Tiananmen, mit dem chinesischen Nationalmuseum, dem Parlamentsgebäude, Maos Mausoleum und der Verbotenen Stadt gibt es keine Hochhäuser. Vom Kohleberg, im Park direkt nördlich der Kaiserstadt, hat man eine wundervolle Aussicht auf das alte Stadtzentrum, wenn es nicht zu diesig ist: die Trommel- und Glockentürme im Norden und die Hutongs, die typischen kleinen, einstöckigen Pekinger Wohn- und Geschäftsviertel aus grauen Steinen und mit schönen geschwungenen Dächern aus chinesischen Dachziegeln.
Auf dieser religiös mythisch wichtigen Nord/Süd-Achse liegt weiter im Norden auch das Olympiagelände.
Um das innere Quadrat werden die Häuser höher. Unglaubliche Protzbauten, viele architektonisch wertvoll, meist von berühmten Ausländern gebaute offizielle Burgen wie das in der Mitte offene CCTV Building des chinesischen Fernsehens. Büros, Hotels, Banken und Shopping-Zentren mit einem Schickimickisortiment von Armani bis Louis Vuitton zu europäischen Preisen machen sich überall breit.
Dazwischen aber auch vierstöckige, alte Wohnhäuser in schmalen Strassen mit kleinen Läden und Restaurants. Neben den Protzbauten fallen noch die Luxusschlitten auf, Buick, Audi A8, Mercedes, selbst Maserati sieht man an jeder Ecke. Vielleicht folgt nach der momentanen kapitalistischen Revolution ja noch einmal ein Aufstand der Unterprivilegierten, die Schere zwischen Arm und Reich ist immens.
Gleich neben unserem einfachen Hotel sitzen wir auf der Strasse auf kleinen Hockern und essen Hefeklösschen, gefüllt mit Hackfleisch und Kohl: baozi - und jiaozi, kleine Teigtaschen, gefüllt mit allem Möglichen, ähnlich unseren geliebten Tortellini. Getunkt werden sie in ein Gemisch von Essig, Sojasosse und zerdrücktem Knoblauch – einfach herrlich!!!
Vier Yuan kostet eine Portion mit acht dieser Prachtexemplare: 40 Eurocent, bzw. 60 Rappen! Isst man gegenüber im edleren Restaurant, kann ein Essen für vier Personen inkl. Bier schon 200 Yuan kosten. Hundert Meter weiter, in nicht ganz so feinem Ambiente, haben wir mit sechs Personen nur 119 Yuan bezahlt. Ausgezeichnet war es immer!
Die Staub- und Schmutzschicht, die alles zu überziehen scheint, Fusswege, Fahrräder, Gebäude, etc. lernt man geflissentlich zu übersehen. Trotzdem, die Schmuddelbrücke, eine neue Überquerung einer der grossen, zehnspurigen Strassen, nervt auch Steffi und Till.
Der Tisch im Restaurant ist niemals perfekt sauber! Zum Mund gehen nur die Stäbchen, jeder greift in alle Gerichte quer über den Tisch – das gilt auch für Erdnüsse! Was hinunterfällt bleibt liegen, nichts wird vom Tisch aufgenommen, der muss also gar nicht sauber sein!
Die Knochen, die sich vielleicht noch im Fleisch befinden, weil alles mit dem kleinen Hackebeilchen in Stäbchen gerechte Stückchen zerteilt wird, spuckt man einfach neben den Teller! Aschenbecher kann man anfordern oder aber die Asche auf den Boden schnipsen. Gefegt und gewischt wird regelmässig!
Im feinen Pekingentenrestaurant ist das natürlich alles ganz anders, edel, mondän, sauber und ordentlich, fast wie bei uns in Deutschland – dafür zahlt man natürlich!
Wir haben Glück, Peking erstrahlt anlässlich der eine Woche andauernden Feier zum 60. Geburtstag der Volksrepublik im Sonnenschein. Aber es wird kälter. In den ersten Oktobertagen sind wir noch in Sandalen herum gelaufen, jetzt braucht man eine Jacke und einen Pullover. Ganz China ist auf den Beinen, 288 Millionen Chinesen fahren, laut „China Daily“, der offiziellen englischsprachigen Zeitung, in dieser Woche in den Urlaub! Gott sei Dank nicht alle nach Beijing. Der Platz des Himmlischen Friedens platzt aus allen Nähten. Durch zwei Sicherheitskontrollen schlängeln sich die Menschenmassen ins Zentrum, dort, wo die grossen „Karnevalsumzugswagen“ stehen, die man nach der offiziellen Parade dort abgestellt hat. Ein überdimensionaler Blumentopf schmückt ebenfalls den Platz. Jeder fotografiert jeden, ständig steht man im Weg. Zwei zwanzig Meter lange Videoleinwände zeigen Chinas Naturschönheiten, von der Mauer bis zu den Karstbergen in Yangshou.
Lachende Menschen in Tibet und tanzende, uigurische Volksgruppen, alle vereint im grossen Heimatland! Zwei weitere Leinwände zeigen pausenlos die Parade vom
1. Oktober 2009 – 60 Jahre Volksrepublik!
Hanne vermisst die Stände mit gebrannten Mandeln und Zuckerwatte, die es auf dem Hamburger Dom gibt.
Vor den beiden Riesengebäuden, dem Parlament im Westen und dem Nationalmuseum im Osten stehen hübsch hässliche, rotbunte Säulen mit übergrossen Figuren, die abends auch noch in wechselnden Farben angestrahlt werden. Die Figuren ähneln in Farben und Form Figuren aus Asterix und Obelix.
Till sagt, man überlege allen Ernstes, ob man sie da stehen lassen soll! Mao wird sich in seinem Mausoleum nebenan hoffentlich lautstark im Grabe umdrehen!
Die U-Bahnstationen um den Platz herum sind geschlossen. Das Volk muss also vorher oder hinterher aussteigen und strömt dann aus allen Seiten aufeinander zu – dem Himmlischen Frieden entgegen. Wir auch, hin und zurück! Die Strassen sind abgesperrt, Fussgänger bewegen sich nur auf den Gehwegen, Fahrzeuge dürfen nicht anhalten, überall Polizei und Militär, niemand darf in der Nähe des Platzes ein- und aussteigen. Erst zwei Kilometer entfernt normalisiert sich alles wieder!
U-Bahn fahren in Beijing erinnert an die Filmberichte aus Tokio. In den Stationen an denen es voll wird, stehen Hilfskräfte, die die letzten Passagiere in den Zug stossen. Chinesen wollen eigentlich immer gern „Erster“ sein. Das führt dazu, dass sie durch die Tür hineindrängen, bevor die anderen eine Chance haben auszusteigen. Man muss schon Ellenbogen haben in dieser Gesellschaft. In den Wagen flackern über alle Bildschirme lautstark und nur unterbrochen von den Ansagen der nächsten Station in Chinesisch und Englisch, tolle Filme: Ausschnitte aus Pekingopern oder noch besser, die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele und ganz aktuell die Parade des 1. Oktober! Es wird nie langweilig!
Der Song von Katie Melua von den 9 Million Bicycles in Beijing muss umgeschrieben werden, er gilt allenfalls noch für Saigon und dort nur für Mopeds. Fahrräder gibt es kaum, nicht mehr als bei uns auch! Alles fährt Auto - der Fortschritt lässt sich eben nicht aufhalten. Vor drei Jahren wurden in Beijing noch täglich 300 neue Fahrzeuge zugelassen, neue Zahlen haben wir nicht. Im Vergleich zu Shanghai 2007 und Saigon 2008 ist das Chaos auf den Strassen aber erträglich.
Abends, bei hohem Fussgängeraufkommen, haben langsam fahrende Autos weniger Chancen, dann siegt die Masse Mensch und Links- und Rechtsabbieger stehen im Stau!
Nein, sie sind nicht immer lieb und freundlich die Chinesen. Als Mann gelingt es mir mit breitem Grinsen auch ein Lächeln auf die Gesichter der Frauen zu zaubern. Hanne hat mit den Männern mehr Probleme!
Stimmen klingen oft böse und laut. Plötzlich brüllt der Mann neben mir in der U-Bahn in voller Lautstärke, ich bin gar nicht gemeint, er telefoniert! Frauen keifen eher, schrill und eindringlich – natürlich nicht alle. Im Hotel kann es passieren, dass eine Gruppe chinesischer Touristen alle Zimmertüren offen lassen, damit sie ungestört über den Flur miteinander kommunizieren können. Ein gutes Essen vorher mit viel Alkohol verstärkt die Wirkung enorm.
Europäer, die sich gern fotografieren lassen, können Reisen in China voll geniessen! Wir werden plötzlich erkannt, jemand findet uns interessant und so spannend, dass er oder sie die Kamera auf uns richten muss, versteckt und auffällig unauffällig. Steffi mit roten Haaren und heller Haut ist das Lieblingsmodell, da stellt man das eigene Kind daneben und macht eine Aufnahme fürs Familienalbum!
… und nur noch kurz über das eine und andere unter der Gürtellinie:
Bezüglich Toiletten ist China nicht unser Lieblingsland! Wer Erster sein will, zieht schnell mal zu schnell zurück und dann, … na ja! Hanne meint, bei den Damen ist es nicht besser! Auch Frauen fehlt im Hocken oder Stehen – und diese Toiletten sind noch sehr verbreitet – das „Zielwasser“.
Kleine Kinder tragen keine Windeln, ihre Hosen sind einfach im Schritt unten offen – immer bereit – sieht putzig aus!
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